Gegen Konzern-Macht anschreiben
Auf den ersten Blick hat das heutige Stichwort BAYER so gar nichts mehr mit dem rundbrief gemein, aus dem es hervorging. Auf den zweiten Blick aber schon. Da fällt eine bemerkenswerte Treue zu dem auf, was vor 40 Jahren mit schmalen acht Seiten begann.
Von Jan Pehrke
„Klein und bescheiden ist er zwar, der erste rundbrief. Aber oho!“ – mit diesen Worten kündigte sich im Dezember 1983 das erste regelmäßig erscheinende Informationsblatt der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) an. Und es kam, um zu bleiben und sich zum heutigen Stichwort BAYER weiterzuentwickeln.
Auf gerade mal acht Seiten brachte es der rundbrief bei seiner Premiere. Karikaturen bildeten die Oasen in den Text-Wüsten. Bilder gab es keine. Die Fotos hätten damals noch in einem technisch aufwändigen Prozess aufgerastert werden müssen, wofür Geld und Expertise fehlten. Auch sonst muten die Produktionsmittel aus heutiger Sicht vorsintflutlich an: Schere und Kleber, Letraset zum Aufrubbeln von Buchstaben für Headlines und eine Schreibmaschine.
Aber der rundbrief sollte nichtsdestotrotz schon etwas hermachen, kein Matrizen- oder Flugblatt-Look, und nicht einfach nur kopierte Schreibmaschinen-Seiten. Das damalige Redaktionsteam wollte ihm eher die Anmutung eines Nachrichtenorgans geben. Spaltenformat und Blocksatz hieß deshalb das Gebot der Stunde. Allerdings war das auf einer einfachen Schreibmaschine nicht so einfach hinzukriegen. Zeile für Zeile musste Ursula Mögling die Buchstaben auszählen und eine bestimmte Menge Leerzeichen zwischen den Wörtern verteilen, um jeweils die Normlänge zu erreichen und zusätzlich auch noch das Papier verschieben. „Eine Heidenarbeit“, so Christiane Köhler-Schnura, eine Frau der ersten Stunde.
Als „Druckerei“ diente derweil der DIN-A3-Kopierer auf der Arbeitsstelle von Christiane Schnura. Sie hatte die „dankbare Aufgabe“, ihn klammheimlich in Teilzeit-Volkseigentum zu überführen, immer in Angst, einen Papierstau zu produzieren und damit die ganze Sache auffliegen zu lassen. „Ich hab’ Blut und Wasser geschwitzt“, erinnert sie sich.
Das alles mutet seltsam entrückt an. Das Erscheinungsbild erhöht die Distanz dann noch einmal. Aber beim Lesen schwindet die Fremdheit ganz schnell wieder. Da kommt den LeserInnen von heute plötzlich alles nur allzu bekannt vor. Wasserverschmutzung durch BAYER, die Gefahren der Polychlorierten Biphenyle (PCB), Menschenversuche in der Pharma-Forschung, Störfälle – diese Themen beschäftigen das Stichwort BAYER noch immer – sogar in der vorliegende Ausgabe. So berichten wir im Ticker beispielsweise über einen Prozess, den PCB-Geschädigte gegen den Leverkusener Multi führen.
Und noch etwas aus dem ersten rundbrief hat die 40 Jahre überdauert: Die Maxime „Für mehr Umweltschutz und sichere Arbeitsplätze bei BAYER“. Sie ist für die Coordination immer noch handlungsleitend und findet sich deshalb kaum abgewandelt nur zwei Seiten weiter vorne an prominenter Stelle im Impressum.
„Da haben wir sehr lange drüber diskutiert damals“, sagt Christiane. „Der Gegner sind ja nicht die Kollegen (…) Wir haben immer gesagt: Wir wollen die Kollegen nicht aus dem Auge verlieren“, erläutert sie. Und „sichere Arbeitsplätze“ war dabei weiter gefasst: „Es geht dabei nicht nur darum, dass sie einen sicheren Arbeitsplatz haben unter dem Aspekt ‚keine Kündigung’, sondern auch darum, dass er gesundheitlich sicher ist, weil – die kriegen natürlich am meisten ab.“
Der rundbrief Nr. 2 erschien dann im Fe-bruar 1984. Mit viel Schwung konnte sich die Redaktion da ans Werk machen, denn die Reaktionen auf ihr Debüt sorgten für Rückenwind. „Der erste rundbrief hat zu unserer Freude ein riesiges Interesse gefunden. Täglich trudeln Abonnement-Bestellungen und Anfragen bei uns ein. Ehrenamtlich ist das für uns kaum noch zu schaffen. Aber es ehrt uns natürlich auch, dass unsere Bemühungen für mehr Umweltschutz und sichere Arbeitsplätze bei BAYER so viel Echo finden“, vermeldete der rundbrief Nr. 2.
Ein Blick auf den Inhalt verschafft einem wieder Déjà-vu-Erlebnisse. Es ging unter anderem um chemische Kampfstoffe, illegale Steuertricks, Giftmüll und – 33 Jahre bevor das SWB die Problematik wieder aufgriff und in der Folge immer tiefer in die Materie einstieg – Medikamentenversuche in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Schleswig-Hesterberg. Und darüber hinaus annoncierte der rundbrief noch die Gründung der Projektgruppe „Alternative BAYER-Aktionäre“, sollte sich die CBG doch am 27. Juni des Jahres zum ersten Mal aktiv in die Hauptversammlung des Konzerns einschalten.
Das 3. Heft erschien dann unter einem anderen Namen, einem ebenso findigen wie heute erklärungsbedürftigen. Die Coordination bediente sich dafür bei dem Hausorgan der CSU, das damals als der Inbegriff der reaktionären Publizistik galt: dem Bayernkurier. Da brauchte nur das „n“ weg, und schon war der BAYERKURIER fertig. Es dauerte allerdings nicht lange, bis Post aus München eintraf. Die RechtsvertreterInnen des CSU-Blatts machten eine Verwechslungsgefahr geltend und drohten bei einer Weiterverwendung des Titels mit einem teuren – Streitwert: 50.000 DM – Prozess. Dieses Risiko wollte der rundbrief in seinen jungen Jahren nicht eingehen. Deshalb erschien er einstweilen blanko weiter. „Titel noch immer zensiert“, stand auf der ersten Seite zu lesen, bis es dann im September 1985 hieß: „Endlich hat unser Informationsdienst wieder einen Namen.“ Und es war der, den er bis heute hat: Stichwort BAYER.
In bemerkenswerter Kontinuität setzt es seither fort, was vor 40 Jahren mit dem rundbrief begann, und schreibt „[d]ie Wahrheit über all das, was die Herren aus der Vorstandsetage bei BAYER zu vertuschen suchen. Über mangelnden Umweltschutz, zu geringe Produktionssicherheit. Über die Gefährdung der Verbraucher und die Vernichtung von Arbeitsplätzen. Vor allem aber über den Widerstand und die Gegenwehr der Betroffenen und anderer Interessierter“, wie es sich der rundbrief Nr. 1 vorgenommen hatte.
Aber all das wäre nicht möglich gewesen ohne die tatkräftige Unterstützung von Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, einem konzern-kritischen Magazin als wichtigem Teil der Gegenöffentlichkeit den Rücken zu stärken und sich dafür im „Stichwort BAYER“-Förderkreis zusammenfanden. Ihnen an dieser Stelle ein herzlicher Dank! Und viele dieser FörderInnen dürfen wir sicherlich am 4. November auf unserer Jahrestagung begrüßen, die dem Stichwort gewidmet ist.