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Duogynon

Presse Info der Coordination gegen BAYER-Gefahren

Fehlbildungen durch Duogynon

Prozess-Auftakt in Berlin: „Verjährung ist nicht akzeptabel“

30. Nov. - Zu der Aussage des Richters Udo Spuhl in der heutigen Verhandlung am Landgericht Berlin, wonach ein "Auskunftsanspruch nicht bestehen dürfte, da Schadenersatzansprüche seit 2005 verjährt sind", erklärt Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren:

„Die Schädigungen der Betroffenen liegen nicht 30 Jahre zurück, sondern sind Teil ihres Alltags. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Rechtslage über Jahrzehnte hinweg keine Schadenersatzklagen ermöglicht und dass nun die Ansprüche verjährt sein sollen.“ Viele Betroffene, die zum Prozess angereist waren, trugen T-Shirts mit der Aufschrift: "Duogynon! Wir sind nicht verjährt". Die Urteilsverkündung ist am 11. Januar angesetzt.

Zur Vorgeschichte des Verfahrens ergänzt Mimkes: „Die Ermittlungen gegen Schering vor 30 Jahren wurden mit der kaltschnäuzigen Begründung eingestellt, dass die Schädigung eines Fötus keinen Straftatbestand darstelle, da „ein Angriff gegen die Gesundheit eines Menschen im Rechtssinn“ nicht vorliege. Die Justiz ist gefordert, diese skandalöse Bewertung zu revidieren. Schließlich hat Schering selbst in den siebziger Jahren auf jeder Packung einen Warnhinweis anbringen lassen, laut dem Duogynon wegen der Gefahr von Fehlbildungen nicht in der Schwangerschaft eingenommen werden darf.“ Die Coordination gegen BAYER-Gefahren hat die Betroffenen mehrfach eingeladen, in der BAYER-Hauptversammlung vor Tausenden von Aktionären über ihre Schädigungen zu sprechen.

Tausende von Kindern hatten in den 60er und 70er Jahren schwere Fehlbildungen durch hormonelle Schwangerschaftstests erlitten. Die von der Firma Schering unter den Produktnamen Duogynon, Cumorit und Primodos vertriebenen Präparate führten unter anderem zu Herzfehlern, fehlenden Gliedmaßen, Gaumenspalten und Nierenschäden. Nach Angaben von Anwalt Jörg Heynemann, der die Betroffenen vertritt, ist die „statistische Signifikanz eines Zusammenhangs der Geburt behinderter Kinder und der Einnahme von Duogynon durch die Mütter ebenso offensichtlich wie im Fall der Contergan-Tragödie.“

Der Spiegel wies Anfang der Woche nach, dass bei Schering schon 1967 intern über die Risiken diskutiert wurde. In einem Brief eines Mitarbeiters an die Schering-Zentrale heißt es: "Die offenkundige Korrelation zwischen der Zunahme angeborener Missbildungen und dem Verkauf des Schwangerschaftstests erscheint ziemlich alarmierend."

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2. Dezember 2010, Neues Deutschland

Wenig Hoffnung für Duogynon-Betroffene

Gericht deutet Abweisung der Klage gegen Bayer-Schering an

Am Dienstag hat das Berliner Zivilgericht über die Klagen von Duogynon-Opfern gegen den Pharmakonzern Bayer-Schering verhandelt. Große Hoffnung für Betroffene gibt es nicht.

André Sommer wirkt beherrscht, als der Richter ihm alle Hoffnungen nimmt. Der 34-jährige Lehrer aus einem Dorf im Allgäu hat die Hände übereinander geschlagen und regt sich kaum, während der Vorsitzende der 7. Kammer des Berliner Zivilgerichtes, Udo Spuhl, Sommers Forderungen gegen Bayer-Schering Punkt für Punkt abweist. Die ruhige Szene steht im krassen Widerspruch zum Bild im hinteren Teil des Saals. Zwischen Journalisten sitzen mehrere Dutzend Beobachter. Sie tragen uniforme T-Shirts mit der Aufschrift: »Duogynon, wir verjähren nicht«.

1975 hatte Sommers Mutter das Hormonpräparat Duogynon des Schering-Konzerns eingenommen, ohne die Folgen zu ahnen. Das Medikament wurde damals als Schwangerschaftstest verschrieben. Durch die Kombination aus zwei Sexualhormonen wurde eine künstliche Regelblutung hervorgerufen. Blieb diese aus, galt eine Schwangerschaft als wahrscheinlich. Das komplizierte Verfahren war nötig, bevor die heute üblichen Urintests auf den Markt kamen.

André Sommers Mutter jedoch war zum Zeitpunkt der Einnahme bereits schwanger. Ein Jahr später kam ihr Sohn mit schweren Missbildungen an Blase und Genitalien zur Welt. Kein Einzelfall, wie der Medizin-Fachanwalt Jörg Heynemann schildert, der Sommer vor Gericht vertritt. Tausende Frauen hätten damals Kinder mit schweren Schäden zur Welt gebracht. Betroffen waren oft die Extremitäten, in anderen Fällen kamen die Kinder mit geschädigten Organen, offenem Bauch oder Rücken zur Welt. Die Zahl der Totgeburten ist unbekannt.

Der inzwischen fusionierte Konzern Bayer-Schering weist indes alle Verantwortung von sich. In den 1970er Jahren sei der Fall juristisch aufbereitet worden, sagt Sprecher Oliver Renner. Ein Recht auf Akteneinsicht gebe es deswegen nicht, zumal die Sache nach 30 Jahren verjährt sei. Diese Meinung vertrat auch das Gericht – und deutete an, die Auskunftsklage abzuweisen. Einsicht in die Akten könne es nur geben, wenn auch die Möglichkeit auf Klage besteht, argumentierte Richter Spuhl, der bis Januar entscheiden will.

Für die Betroffenen ein Skandal. Die Duogynon-Opfer – neben dem Hauptkläger Sommer rund 200 Personen – verweisen auf neue Erkenntnisse, nach denen Schering bereits Ende der 1960er Jahre von den Gefahren wusste. Auch galt beim letzten Prozess im Jahr 1980 menschliches Leben erst ab der Geburt als schützenswert. Vor acht Jahren war zudem die Haftungsregelung für Medikamentenschäden im Arzneimittelgesetz verschärft worden. Besonders diese zweite Rechtsnovelle war durch die andauernden Contergan-Verfahren motiviert. Heynemann sieht sich und seinen Klienten deswegen im Recht. »Im Zweifelsfall gehen wir in Berufung«, kündigt er an.

Auch der Kläger will sich nicht entmutigen lassen. Die Haltung des Gerichtes sei »eine Enttäuschung für mich und alle anderen Opfer«, sagte Sommer, »denn unsere Behinderungen verjähren nicht«.
Von Harald Neuber