„Si es BAYER, es bueno“ – „Wenn es von BAYER ist, ist es gut“ – mit diesem Werbespruch pries der Leverkusener Multi in Lateinamerika lange seine Produkte an. 1972 setzte César Germaná in der linken peruanischen Zeitschrift Sociedad y Política allerdings ein dickes Fragezeichen hinter den Slogan: „Si es BAYER, es bueno?“ Der peruanische Künstler Sergio Zevallos entdeckte diesen Text und andere Artikel des Periodikums wieder und machte sie zum Ausgangspunkt seiner Arbeiten, die das Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ von Oktober 2023 bis zum Januar 2024 zeigte. Das Stichwort BAYER nimmt das zum Ausgangspunkt für einen Rückblick auf die unrühmliche Geschichte des Konzerns in Peru.
Von Peter Nowak (1) und Jan Pehrke
„Übungen zur Verwandlung“ hieß die Ausstellung von Sergio Zevallos, die bis Mitte Januar 2024 im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ zu sehen war. Für den peruanischen Künstler sind diese Exerzitien notwendig, um den Kolonialismus abzuschütteln, der dem Land seiner Ansicht nach noch tief in den Knochen steckt. Die Grundlage für diese Arbeit der Transformation bilden dabei Artikel des Magazins Sociedad y Política, das der 61-Jährige daheim bei seinen Eltern fand. Sein Vater war nämlich Mitherausgeber des Periodikums, das der dekoloniale Denker Anibal Quijano gegründet hatte. Unter anderem hat Zevallos Schulkinder aus Lima alte Sociedad-Artikel vorlesen lassen und aus den Aufnahmen eine Klang-Installation geschaffen. Und in „Transmutationsskripte“ nahm er sich selbst einige Texte vor. Er befragte sie neu und versah sie mit Randbemerkungen und kleinen Zeichnungen.
Im Ausstellungskatalog, der wie eine Ausgabe von Sociedad y Política gestaltet ist, charakterisiert die Kuratorin Paz Guevara die Publikation folgendermaßen: „Die von 1972 bis 1983 erschienene Zeitschrift leistete einen Beitrag zur theoretischen Debatte über die neokolonialen Prozesse, die sich in den postkolonialen Nationen Lateinamerikas vollziehen.“ Ihrer Einschätzung nach leisteten die Hefte durch die Rückführung des staatlichen Rechtssystems auf seine kolonialen Wurzeln und die Beschreibung der Muster des ungerechten Handels einen wichtigen Beitrag zur Identifizierung kolonialer Strukturen im System des globalen Kapitalismus. „Beispielhaft stehen dafür Anibal Quijanos Text ‚Imperialismus und Staatskapitalismus‘, der die strukturelle Abhängigkeit der postkolonialen Nationalstaaten von imperialistischen Mächten USA und Westeuropa analysiert, der Artikel ‚Si es BAYER … es bueno?‘ (Wenn es BAYER ist …, ist es dann gut‘), in dem sich César Germaná kritisch mit dem von der westdeutschen Firma realisierten Bau einer Fabrik in Peru befasst oder auch Rodrigo Montoyas Erkundung der Proletarisierung, Deindigenisierung und Marginalisierung des bäuerlichen Lebens und Arbeitens in den peruanischen Anden“, so Guevara.
Konkret handelte es sich bei dem BAYER-Betrieb um eine Anlage zur Herstellung von Dralon-Kunstfasern, deren Errichtung 1969 begann. Germaná kritisiert das Projekt als einen Schulterschluss der nationalen Bourgeoisie und des peruanischen Staates mit der Bourgeoisie des Imperialismus. Die Bestimmungen des Anden-Pakts, den Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru geschlossen hatten, sahen für Auslands-investitionen nämlich eine Beteiligung einheimischen Kapitals oder des jeweiligen Landes selbst vor, weshalb die damalige Regierung 30 Prozent der Anteile an BAYER INDUSTRIAL S.A. erwarb.
Perus neue Politik der Importsubstitution hatte den Leverkusener Multi zu dem Bau veranlasst. Der Staat wollte unabhängiger von Einfuhren werden und eigene Industrien aufbauen. Darum belegte er Importe mit hohen Zöllen, was es für die Konzerne unattraktiv machte, ihre Produkte nach Peru zu liefern. Also zogen sie vor Ort eigene Fertigungsstätten hoch. BAYER beschrieb das 1986 als eine Erfolgsgeschichte. „Seit Produktionsbeginn ging es bei BAYER INDUSTRIAL ständig aufwärts. In den Jahren 1974/75 wurde die Produktionsanlage erstmals erweitert. Eine zweite Erweiterung erfolgte im Jahr 1982. Heute produziert das Werk 27.000 Jahrestonnen und zählt 742 Mitarbeiter“, hieß es im BAYER-Bericht 54/1986.
Diese Bewertung konnten allerdings die Belegschaftsangehörigen der Dralon-Fa-brik ebenso wenig teilen wie ihre KollegInnen, die in BAYERs peruanischen Pharma- und Pestizid-Werken arbeiteten, denn den ungerechten Welthandel, den Sociedad y Política anprangerte, praktizierte der Global Player in Form von doppelten Standards. Sowohl beim Arbeitsrecht und Arbeitsschutz als auch bei den Löhnen legte der Global Player andere Maßstäbe an als in Deutschland oder anderen Industriestaaten. Und auch die Umwelt hatte in Peru (noch) mehr zu leiden. Das in der Agrochemie-Produktion beschäftigte Personal etwa klagte immer wieder über Gesundheitsstörungen, wie das SWB 2/91 dokumentierte. „Die Mehrzahl von uns ist chronisch vergiftet. Von den 200, die wir früher waren, sind 20 von sich aus gegangen. Es ging ihnen schon nicht mehr gut. Private Ärzte sagten ihnen: ‚Wenn Du diese Arbeit weitermachst, wird deine Gesundheit ruiniert“, vertraute ein Arbeiter einer Umweltschutz-Organisation an. Und bei der Leitung stießen die Betroffenen auf taube Ohren: „Sie sagen dir: ‚Geh zur Krankenversicherung, da werden sie dich behandeln.‘“ Sogar zu Todesfällen kam es. Die beiden Experten Jürgen Bujak und Wolfgang Hien, die detaillierte Berichte über die Situation in den betreffenden BAYER-Fabriken erhielten, wunderte das nicht. Weder verfügten die Werke über eine geeignete Entlüftungsanlage noch händigte die Direktion den ArbeiterInnen die richtigen, mit Kombinationsfiltern ausgestatteten Gesichtsmasken aus, hielten sie in ihrem Report „Produktion von Pestiziden bei BAYER-Peru“ fest.
Zudem verstieß der Konzern gegen tarif-vertragliche Regelungen, die bestimmte Sozialleistungen und Inflationsausgleichszahlungen in Höhe von 65 Prozent festlegten. Darum streikte die Belegschaft immer wieder. BAYER reagierte mit Aussperrungen und Entlassungen von GewerkschaftlerInnen. Und als neun von ihnen dann vor Gericht zogen und erfolgreich auf Wiedereinstellung klagten, weigerte sich das Unternehmen auch noch, die Urteile umzusetzen. Erst nachdem ein Haftbefehl gegen drei Geschäftsführer ergangen war, gab es klein bei.
Im Jahr 1988 lud die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) den Gewerkschaftler Jesús Cabana Vargas ein, das Thema „Peru“ auf die Tagesordnung der Hauptversammlung zu setzen. In seiner Rede bestimmte er zunächst die Rolle, die der Andenstaat in der Weltwirtschaft einnimmt. „Meine Heimat Peru ist eine Gesellschaft, die abhängig ist. Sie ist dabei, sich zu entwickeln und kämpft um ihre politische und ökonomische Souveränität. Die Wirtschaft meines Landes ist vom Dollar abhängig“, führte er aus. Dann schilderte Vargas die Situation vor Ort in Lima: „Nun zu dem im Geschäftsbericht erwähnten Streik.“ Im Folgenden erläuterte er, wie es zu den Ausständen kam. Dabei kritisierte der Gewerkschafter den Global Player scharf: „Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass BAYER in Peru stets ein aggressives Verhalten an den Tag legte. Die berechtigten Forderungen der Arbeiter nach besseren Löhnen und das sichtbar legitime Verlangen der Arbeiter nach allgemeinem Wohlergehen werden negiert. Bis zum heutigen Tage. Deshalb ist es nur logisch, dass die Arbeitskonflikte in Peru andauern.“
Das alles sah der damalige Vorstandsvorsitzende Hermann Josef Strenger naturgemäß anders. Von unlauteren Mitteln wollte er nichts wissen. Die Aussperrung beispielsweise sei „keine Aussperrung in ihrem Sinne gewesen“, behauptete er und konstatierte: „Wir halten uns an Recht und Gesetz in Peru.“ Der BAYER-Chef sprach von großen ökonomischen und finanziellen Problemen im Land, von denen das Unternehmen sich aber nicht abschrecken ließe: „Trotzdem werden wir in Peru weitermachen.“ Diese Aussage hatte jedoch keinen Bestand. Im Jahr 1992 kündigte der Konzern seinen Rückzug an. Die ökonomischen Rahmenbedingungen hatten sich nämlich geändert. Der 1990 neu ins Amt gewählte Präsident Alberto Fujimori gab im Zuge der Globalisierung die Abschottungspolitik der Importsubstitution auf. Er senkte die Einfuhrzölle und setzte die heimische Wirtschaft wieder ungeschützt den Weltmärkten aus. BAYER sah dadurch keine Geschäftsgrundlage für eigene Werke in dem Staat mehr. Der Multi kehrte zum Status quo ante zurück und lieferte von außerhalb. Das Stichwort BAYER widmete den ganzen damaligen Vorgängen das Sonderheft „Repression, Gift & knurrende Mägen“, das „die skrupellose Geschäftspolitik des BAYER-Konzerns in Peru“ dokumentierte.
Und die Überschrift ‚Si es BAYER … es bueno?‘, die César Germaná für seinen Artikel in Sociedad y Política wählte, fand bei KonzernkritikerInnen in Lateinamerika und anderswo noch oft Anwendung, wenn es darum ging, die skrupellose Profit-Jagd des Multis zu geißeln. Marta Morales veröffentlichte zum Beispiel 2016 auf der Webseite der Internationalen Arbeiterliga, Vierte Internationale (LIT-CI) unter diesem Titel einen Artikel (2). Sie widmete sich da der gigantischen wirtschaftlichen Operation, die der Kauf von MONSANTO durch BAYER bedeutet. Kein Duell der Titanen, sondern eine Fusion von Pestiziden und Saatgutproduktion, alles unter der Kontrolle des vergrößerten Konzerns. Mit einem Weltmarkt, der für gentechnische Versuche in planetarischem Ausmaß ausgebildet ist, so lautete die Kritik. Und Germaná und sie fanden noch unzählige NachahmerInnen, die BAYERs Werbe-Slogan ein dickes Fragezeichen hintanstellten. ⎜
ANMERKUNGEN
(1) https://peter-nowak-journalist.de
(2) https://litci.org/es/si-es-BAYER-es-bueno/