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SWB 01/2023

Die EU verlängert die Zulassung des BAYER-Herbizids

Ein Jahr mehr für Glyphosat

Am 15. Dezember 2022 lief die Glyphosat-Genehmigung aus. Aber die Europäische Union schaffte es nicht, die für eine erneute Zulassung nötigen Risiko-Bewertungen fristgerecht vorzunehmen. Das bedeutete jedoch keineswegs das vorläufige Aus für das umstrittene BAYER-Herbizid. Trotz nicht abgeschlossener Sicherheitsprüfung darf der Leverkusener Multi das Mittel vorerst ein Jahr lang weiter vermarkten: Die EU-Kommission sprach eine „technische Verlängerung“ aus.

Von Jan Pehrke

Im November 2017 hatte die Europäische Union die Zulassung des BAYER-Herbizids Glyphosat um fünf weitere Jahre verlängert. Den Ausschlag gab die Stimme des damaligen deutschen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt (CSU), der entgegen der Absprache der Großen Koalition mit „Ja“ votierte. Mitte Dezember 2019 reichten dann BAYER und die anderen in der „Glyphosat Renewal Group“ organisierten Hersteller der Agro-Chemikalie den Antrag auf eine Genehmigung über den 15. Dezember 2022 hinaus ein. Aber die zuständigen Gremien schafften es nicht, die Risiko-Prüfung rechtzeitig abzuschließen. Sie erklärten im Mai, mehr Zeit zu brauchen, um etwa die Auswirkungen des Mittels auf die Artenvielfalt und die vielen, im Rahmen des Konsultationsprozesses eingereichten Eingaben von Organisationen und Einzelpersonen zu studieren. Die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides reagierte alarmiert und zeigte sich „zutiefst besorgt darüber, dass sich die Bewertung von Glyphosat verzögert“. Bei anderen Pestizid-Verfahren läuft es auch nicht besser, wie das Umweltbundesamt Anfang des Jahres kritisierte: „Die Wiedergenehmigungsverfahren auf EU-Ebene werden (...) oft über Jahre verzögert: Wenn das geschieht, wird die Genehmigung über die gesetzlichen Fristen hinaus immer wieder verlängert.“

Im Fall von Glyphosat geschah das aber erst einmal nicht. Der EU-Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel lehnte am 14. Oktober 2022 den Antrag der EU-Kommission ab, die Glyphosat-Zulassung provisorisch um ein Jahr zu verlängern. Die für Glyphosat optierenden Länder brachten nicht die notwendige qualifizierte Mehrheit, die mindestens 65 Prozent der EU-BürgerInnen umfassen muss, zustande. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) begrüßte die Entscheidung: „Völlig zu Recht empfanden es die Ausschuss-Mitglieder als unverantwortlich, Glyphosat ohne aktuelle Risikoprüfung weiter auf dem Markt zu lassen.“ PAN EUROPE pflichtete dem bei. „Verlängerung bedeutet ein weiteres Jahr einem Herbizid ausgesetzt zu sein, das sehr schädlich für die Gesundheit und die Artenvielfalt ist“, hielt der Chemie-Experte Gergely Simon fest und konstatierte: „Es liegen genügend Beweise für die human- und ökotoxikologischen Auswirkungen von Glyphosat vor, die ein sofortiges vollständiges Verbot erforderlich machen.“

Das grün geführte deutsche Landwirtschaftsministerium hingegen mochte sich der Glyphosat-Ehrenrunde nicht entgegenstellen. Der Ministeriumsvertreter in dem Gremium enthielt sich der Stimme. Die Bundesregierung sähe die Verzögerung im Verfahren zwar kritisch, wolle aber der Europäischen Kommission „bei der formal-administrativen Verlängerung um einen kurzen Zeitraum“ nicht im Weg stehen, verlautete aus dem „Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft“.
Am 15. November landete der Fall dann vor dem Berufungsausschuss der Europäischen Union, aber auch dort kam es nicht zu einer qualifizierten Mehrheit für das umstrittene Herbizid. Deshalb hatte die EU-Kommission das letzte Wort und sprach am 2. Dezember eine technische Verlängerung aus. „In diesem Stadium des Prozesses, wo es kein Anzeichen dafür gibt, dass die in den EU-Rechtsvorschriften festgelegten Zulassungskriterien nicht mehr eingehalten werden, war die Kommission rechtlich verpflichtet, eine befristete Verlängerung der derzeitigen Zulassung von Glyphosat vorzuschlagen“, hieß es aus Brüssel. Die Generaldirektion Gesundheit erklärte immerhin, die verzögerte Risiko-Bewertung des Pestizids „mit Sorge“ zu betrachten und sah sich bemüßigt, Zweifel an der Sorgfaltspflicht der Europäischen Union zu zerstreuen. „Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt ist von höchster Bedeutung für die Arbeit der Kommission, insbesondere im Zusammenhang mit der Zulassung von Wirkstoffen wie Glyphosat in der EU“, erklärte sie.

Für die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und die anderen im BAN-GLYPHOSATE-Bündnis organisierten Gruppen sind das nur Lippenbekenntnisse. Sie appellierten an die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, dem Mittel wegen der seiner umfassend belegten Schädlichkeit für Mensch, Tier und Umwelt sofort die Lizenz zu entziehen. Den neuen Zeitplan der EU-Kommission, der eine Veröffentlichung des säumigen Abschlussberichts der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA im Juli 2023 vorsieht und einen endgültigen Entscheid über die Zukunft des Pestizids erst im Dezember 2023, lehnen die Initiativen ab.

Die Ampel-Koalition macht ihre Pestizid-Politik nicht vom Votum der EU abhängig.Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bekräftigte am 20. September im Bundestag, zu dem im Koalitionvertrag vereinbarten Glyphosat-Ausstieg zu stehen: „Und ich sage jetzt schon allen Akteuren der Branche, dass sie in ihren Planungen davon ausgehen sollen, dass das Verbot am 1. Januar 2024 umgesetzt wird.“ Aber in der Antwort auf eine Nachfrage seines Partei-Kollegen Karl Bär schränkte er sogleich ein: „Die Grenzen dessen, was ich sage, kennen Sie: Das ist das europäische Recht. Das kann ein Bundesagrarminister natürlich nicht außer Kraft setzen.“