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SWB 04/2022

Keine Soli-Abgabe zur Sanierung der Krankenkassen-Kassen

BAYER & Co. zahlen nicht

Zum Haushaltsloch der Krankenkassen in Höhe von 17 Milliarden Euro haben die Arznei-Ausgaben nicht wenig beigetragen. Nicht zuletzt darum sah das „Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ eine Solidarabgabe der Pharma-Riesen in Höhe von zwei Milliarden Euro vor. Aber BAYER & Co. wehrten sich erfolgreich.

Von Jan Pehrke

Kurz bevor sich das Bundeskabinett Ende Juli 2022 mit dem „Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ befasste, nahm sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach das Paragrafen-Werk noch einmal vor. „Eine der auffälligen Änderungen betrifft die Pharmaindustrie: Die im Referentenentwurf noch vorgesehene Solidaritätsabgabe von zwei Milliarden Euro über zwei Jahre ist verschwunden“, fiel dem Online-Portal der Deutschen Apotheker Zeitung auf.

Wieder einmal hatte sich das Extrem-Lobbying der Pharma-Riesen ausgezahlt. Dabei sind sie alles andere als unbeteiligt an dem 17-Milliarden-Defizit der Krankenkassen. Trotz aller Eingriffe der Politik schaffen es die Firmen immer wieder, die Arznei-Budgets von DAK & Co. über Gebühr zu strapazieren. So wuchsen deren Ausgaben für Medikamente im letzten Jahr um 7,8 Prozent auf 3,4 Milliarden Euro – und die Renditen der Unternehmen entsprechend. „Der Umsatz mit rezeptpflichtigen Medikamenten (Pharmaceuticals) stieg (...) um 2,1 Prozent auf 4,818 Milliarden Euro. Die Markteinführung neuer Produkte, vor allem NUBEQA und KERENDIA, verlief weiter erfolgreich“, verkündete der BAYER-Konzern bei der Vorstellung seiner Halbjahres-Bilanz am 4. August 2022.

Gerade diese neuen patent-geschützten Produkte sind es, die die Etats der Kassen belasten. So beträgt der Preis für eine Packung NUBEQA mit 112 Pillen schlappe 3.840,57 Euro. Bei der empfohlenen Dosierung von 2 x 2 Tabletten fallen Tagestherapie-Kosten von rund 137 Euro an. Da müsste ein kleiner Obulus eigentlich drin sein, aber weit gefehlt: Die Branche sah sich durch die Pläne Lauterbachs in ihren Grundfesten erschüttert und „die Konkurrenzfähigkeit des Standorts im internationalen Wettbewerb akut gefährdet“. „Anstatt die Pharma-Industrie zu schröpfen, sollte die Bundesregierung sie vielmehr als wichtigen industriellen Kern schätzen“, meinte Wolfgang Große Entrup vom „Verband der Chemischen Industrie“. Die Resilienz der Gesundheitswirtschaft müsse durch wettbewerbsfähige Preise gestärkt werden, so der VCI-Hauptgeschäftsführer, der lange in Diensten BAYERs stand. Der vom Leverkusener Multi gegründete „Verband der Forschenden Arzneimittel-Hersteller“ (VFA) sprach derweil von einer „Zäsur“. „Der Entwurf entzieht der Industrie Mittel für Investitionen in Forschung und Produktion in Milliardenhöhe“, entrüstete er sich.

Dieses Wehklagen verfehlte seine Wirkung nicht: Lauterbach strich schließlich den Soli-Beitrag. Er beließ es stattdessen bei einer – auf ein Jahr befristeten – Erhöhung des Hersteller-Rabattes auf Medikamente. Zwölf statt sieben Prozent erhalten die Kranken-Versicherungen 2023. Zudem haben die Pillen-Produzenten auf Kombinationspräparate zukünftig einen 20-prozentigen Abschlag zu gewähren. Darüber hinaus dürfen sie für neue patentgeschützte Arzneien nicht mehr ein ganzes, sondern nur noch ein halbes Jahr lang Mondpreise veranschlagen. Ab dem siebten Monat nach dem Inverkehrbringen greift dann der mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GVK) ausgehandelte Erstattungsbetrag. Auch gibt es strengere Vorgaben für solche Pharmazeutika, die im Vergleich zu den schon länger eingeführten Mitteln kaum einen Zusatznutzen aufweisen. Überdies kommen Präparate für seltene Krankheiten jetzt lediglich unterhalb eines Jahresumsatzes von 20 Millionen Euro in den Genuss von Erleichterungen. Und schließlich verlängert das „GKV-Finanzstabilisierungsgesetz“ das Preis-Moratorium für Pharmazeutika. Das allerdings könnte die Kassen noch teuer zu stehen kommen, wenn das Paragrafen-Werk auf seinem weiteren Weg durch Bundestag und Bundesrat nicht noch Änderungen erfährt. „Die geplante Verlängerung des Preis-Moratoriums dürfte statt zu Einsparungen zu erheblichen Mehrkosten für die Krankenkassen führen. Grund ist eine seit 2018 geltende Inflationsklausel, die nun angesichts hoher einstelliger Preissteigerungsraten erstmals voll durchzuschlagen droht“, warnt der Tagesspiegel.

Trotz allem ist das, was SPD, Grüne und FDP dem „Leistungsbereich Pharma“ abverlangen, BAYER & Co. immer noch viel zu viel. „Jede dieser Änderungen ist für sich genommen schon gravierend. Und im Zusammenspiel entfalten sie darüber hinaus noch eine kumulative Wirkung“, lamentiert der VFA.

Wirklich Grund zum Jammern hätten dagegen die Versicherten. Ihnen bürdet der Gesetzgeber nämlich den größten Anteil am Stopfen des GKV-Finanzlochs auf. Ihr Zusatz-Beitrag erhöht sich von 1,3 auf 1,6 Prozent. Außerdem müssen die Kassen die Reserven auflösen, die sie dank der Zahlungen ihrer Mitglieder anzulegen vermochten. „Es bleibt dabei: Auch mit dem vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzes-Entwurf tragen die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler der GVK weiterhin einseitig die Belastungen“, sagt deshalb Jürgen Hohnl vom „Verband der Innungskrankenkassen“.

Den Rest steuern Finanzmittel und ein Darlehen des Bundes, eine Begrenzung des Honorar-Zuwachses für Zahnärzte und andere kleinere Maßnahmen bei. Eine nachhaltige Sanierung der Krankenkassen-Kassen erreicht die Ampel-Koalition dadurch jedoch nicht – da waren BAYER & Co. vor.

Darum hat Karl Lauterbach schon die nächste Baustelle aufgetan. Der Gesundheitsminister will sich aber nicht etwa an eine Bürger-Versicherung machen, die auch Besserverdienende in das staatliche System einbezieht und damit wirklich eine finanzielle Stabilisierung erreichen würde. Er droht vielmehr eine Krankenhaus-Reform an.