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SWB 01/2022

BAYER & Co. umgehen EEG-Umlage

Der Milliarden-Betrug

Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) des Jahres 2000 wollte der Bund den Ausbau von Windkraft, Solarenergie & Co. fördern. Dazu sah er eine Abgabe über die Stromrechnung vor. Während aber die Privat-Haushalte ihre EEG-Umlage ordnungsgemäß zahlen, fanden BAYER & Co. mit der Scheibenpacht einen Dreh, um ihren Beitrag massiv zu reduzieren. Acht bis zehn Milliarden Euro sparten sie laut Spiegel auf diese Weise.

Von Jan Pehrke

Es vergeht kaum ein Tag, an dem BAYER & Co. kein vollmundiges Bekenntnis zu Nachhaltigkeit im Allgemeinen und Klimaschutz im Besonderen abgeben. Wenn es aber an die praktische Umsetzung geht und dabei Kosten anzufallen drohen, dann suchen die Konzerne schnell nach Alternativen. So auch bei der Abgabe, die der Bund im Jahr 2000 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführt hat, um den Ausbau von Wind- und Wasserkraft, Photovoltaik, Geothermie und Biomasse zu fördern. Während die Privathaushalte und die mittelständische Wirtschaft diese EEG-Umlage mit ihrer Stromrechnung zahlen, fanden die großen Konzerne eine Möglichkeit, ihre Beiträge drastisch zu senken. Und das, obwohl sie als energie-intensive Betriebe oft eh schon Rabatte eingeräumt bekommen.

Als Hebel diente ihnen das Eigenstrom-Privileg. Nach dieser Bestimmung müssen die Multis auf Strom, den sie auf ihren Werksarealen selbst erzeugen, keine EEG-Umlage zahlen. Zwar besitzen viele Unternehmen solche Kraftwerke, aber das reichte den meisten von ihnen nicht. Darum suchten sie nach juristischen Mitteln und Wegen, ihren Bestand zwecks Umlage-Umgehung zumindest pro forma zu vergrößern, mit freundlicher Unterstützung von Beratungsfirmen wie PRICEWATERHOUSECOOPERS (PWC) oder Anwaltskanzleien wie BECKER BÜTTNER HELD (BBH) und FRESHFIELDS BRUCKHAUS DERINGER.

„Scheibenpacht“ hieß das Mittel der Wahl. BAYER & Co. machten sich auf dem Papier zu Pächtern von Kraftwerksanteilen, reklamierten so das Eigenstrom-Privileg für sich und sparten so Unsummen. Auf acht bis zehn Milliarden Euro schätzt der Spiegel die einbehaltenen Beiträge und zieht Parallelen zum Cum-ex-Skandal. Und die Zeche zahlen die Privathaushalte und MittelständlerInnen. „Weil manche Unternehmen wissentlich seit Jahrzehnten ihre Rechnung nicht vollständig zahlen, wird die EEG-Umlage für alle anderen dadurch höher“, kritisiert Ingrid Nestle von Bündnis 90/Die Grünen. Nach „Die Grünen“: Nicht umsonst stieg der Beitrag seit der Einführung im Jahr 2000 kräftig an, von 0,19 auf zuletzt 6,5 Cent pro Kilowattstunde Strom. Nur Zuflüsse aus der CO2-Abgabe für die Sektoren „Verkehr“ und „Gebäude“ in den EEG-Topf vermochten ihn jüngst auf 3,7 Cent zu drücken.

Diese Vermeidungsstrategie, die sich zum Kassenschlager entwickelte und am Ende sogar Krankenhäuser und Kommunen wie Wuppertal in Anschlag brachten, rief schließlich die Bundesnetzagentur auf den Plan. Daraufhin setzte der Gesetzgeber diesem Treiben 2017 mit der Novelle des EEG-Gesetzes ein Ende. Allerdings verpflichtete er die Konzerne nicht zu Nachzahlungen. Zudem ließ er ihnen mit dem § 104 Absatz 4 die Möglichkeit, an ihren Verträgen festzuhalten, wenn sie ihr „Eigenerzeugungskonzept“ als rechtssicher erachteten. Daraufhin dezimierte sich der Kreis der Scheibenpächter beträchtlich, BAYER, DAIMLER, EVONIK und weitere Global Player aber machten einfach weiter wie bisher.

AMPRION vs. BAYER
Dagegen gingen mehrere Übertragungsnetzbetreiber, die sich als „Treuhändler des EEG-Kontos“ verstehen, gerichtlich vor. AMPRION etwa focht das von der damaligen 60-prozentigen BAYER-Tochter CURRENTA und den HÜTTENWERKEN KRUPP MANNESMANN (HKM) entwickelte Konstrukt an. Nach diesem wurde die Service-Gesellschaft laut Vertrag zu einer „Eigenerzeugerin von Strom“, indem sie zwei „Kraftwerksscheiben“ mit einer Leistung von 150 Megawatt von HKM pachtete. 20 Prozent der Leistung brauchte das Unternehmen für sich selbst, den Rest „verpachtete“ sie an BAYER und andere Firmen weiter.

Auf dem Wege eines zweistufigen Verfahrens wollte AMPRION per Auskunftsklage zunächst in Erfahrung bringen, wie viel Strom CURRENTA von 2014 bis 2018 im fernen Duisburg „eigenerzeugte“, um so die Nachforderungen genau beziffern zu können. Im Zuge dessen prüften die RichterInnen jedoch auch schon die Legitimität des Spar-Modells an sich. Es erwies sich allerdings als ziemlich schwierig, in dem komplizierten Vertragswerk den wahren Strom-Eigentümer aufzuspüren, denn PWC, BBH & Co. hatten ganze Arbeit geleistet. Die JuristInnen beurteilten die Sachlage am Ende danach, wer von den Vertragspartnern letztendlich das unternehmerische Risiko trägt. Als Kriterien dienten dabei unter anderem die Zuordnung der wirtschaftlichen Verantwortung für die Brennstoff-Beschaffung, die Qualitätsprüfung, die Preis-Bildung sowie für etwaige Umweltschäden und Anlage-Ausfallzeiten. Auf dieser Basis fällte das Landgericht Duisburg im Januar 2021 sein Teilurteil, das eindeutig ausfiel: „Unter Zugrundelegung der dargestellten Maßstäbe liegt eine Eigenerzeugung (...) nicht vor.“ Die Klägerin als Übertragungsnetz-Betreiberin sei berechtigt, die anteilige EEG-Umlage zu verlangen, hieß es im RichterInnen-Spruch weiter. Die somit fällige Abgabe hatte AMPRION auf Basis der Liefermengen auch gleich schon errechnet: 41 Millionen Euro. Das erschien dem Gericht allerdings etwas zu hoch, es kam „lediglich“ auf rund 20 Millionen.

In Köln saß BAYER gleich mit auf der Anklagebank und musste eine Niederlage einstecken. Das Landgericht entschied die Auskunftsklage wiederum zugunsten AMPRIONs. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig, gab sich der Leverkusener Multi daraufhin zerknirscht, während sich die CURRENTA trotz allem bemühte, Zuversicht auszustrahlen. Man sei überzeugt, dass die Voraussetzungen für eine umlagefreie Eigenstrom-Erzeugung erfüllt seien, betonte das Unternehmen dem Spiegel gegenüber.

Altmaier amnestiert
Aber nicht erst solche Entscheidungen schürten bei den Scheibenpächtern die Angst vor Rückforderungen. Darum wandten sie sich an die Politik und übten Druck auf den damaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) aus. Allein der Leverkusener Multi, der 2020 auf seiner Hauptversammlung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gegenüber Betrugsvorwürfe „entschieden“ zurückgewiesen hatte, setzte drei Schreiben in der Sache auf. Die Konzerne beschwörten „nachteilige Folgen für Standorte“ herauf und mahnten Rechtsschutz an. Der „Verband der Chemischen Industrie“ trat dabei gleich in Vorleistung. Er erstellte laut Spiegel „druckreife Entwürfe für Gesetzes-Änderungen und Amnestie-Regelungen“. Auch die Unternehmensberatungen und Anwaltskanzleien mischten sich ein. Unter anderem trafen sie sich mit Bundestagsabgeordneten und VertreterInnen des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) und konnten gar nichts daran finden. Es sei doch ganz normal, sich als langjährige Kenner der Materie mit der Politik auszutauschen, bekundeten die AntichambriererInnen von BBH & Co. scheinheilig.

All diese Lobby-Anstrengungen führten schließlich zum gewünschten Erfolg. Peter Altmaier setzte sich über MitarbeiterInnen im eigenen Haus, die „verfassungs- und beihilferechtliche Risiken“ geltend machten, hinweg und lieferte. Die EEG-Novelle vom Dezember 2020 hielt die bestellte Amnestie-Regelung bereit, „um Rechtsfrieden zu schaffen“, wie es aus dem BMWi heißt. Stattdessen bleibt den Übertragungsnetzbetreibern jetzt nur, sich auf Vergleichslösungen einzulassen. Eine „Kapitulation der Politik“, konstatierte der Spiegel trocken.

Und die Ampel?
„Diesen Paragrafen muss die neue Regierung wieder kippen. Sie darf nicht einfach freiwillig auf viele Milliarden Euro verzichten, um die BAYER & Co. die Klima-Politik trickreich erleichtert haben“, forderte die CBG die Ampel-Koalition auf. Bei den Koalitionsverhandlungen spielte das Thema jedoch keine Rolle. Dementsprechend taucht es auch im fertigen Koalitionsvertrag nicht auf. Dafür strich die neue Regierungskoalition die EEG-Umlage gleich ganz, womit sie eine langjährige Forderung der Multis erfüllte. Ab 2023 läuft die Bezuschussung der Erneuerbaren Energien nicht mehr über den Strom-Preis, sondern über den Bundeshaushalt. Lediglich über die Einnahmen aus dem Handel mit den Verschmutzungsrechten, welche die Konzerne ab einem bestimmten Punkt für den Ausstoß von Kohlendioxid kaufen müssen, findet indirekt noch eine Beteiligung der Industrie statt. Und viel kommt da nicht zusammen, weil nur Heiz- und Kraftwerke, nicht aber Produktionsstätten erfasst sind – BAYER z. B. ist gerade einmal mit fünf Anlagen dabei. Also dürften die SteuerzahlerInnen nun abermals den Großteil der Kosten tragen, lediglich die Zahlstelle ändert sich.
Aber vielleicht bewegt sich in Sachen „Umlage-Nachzahlungen“ ja doch noch was, obwohl die FDP sich schon dagegen ausgesprochen hat. Die Grünen gaben nämlich nicht nur ein Rechtsgutachten über die Möglichkeit, den Amnestie-Passus zu kippen, in Auftrag, sie fühlen sich auch durch neue Scheibenpacht-Entscheidungen der Gerichte in dem Ansinnen bestärkt, die Unternehmen doch noch zur Kasse zu bitten. Der neue Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Oliver Krischer, erklärte dem Spiegel gegenüber, die „bisherigen Urteile, insbesondere des OLG Düsseldorf, sind ermutigend, dass die Energiewende doch noch gerecht finanziert werden kann.“