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BAYERs Bilanz

Mehr Profit, mehr Glyphosat-Klagen

Am 27. Februar lud der BAYER-Konzern zu seiner Bilanz-Pressekonferenz nach Leverkusen ein. Aber für den Unternehmensgewinn im Geschäftjahr 2019 interessierten sich die Investoren kaum noch. Sie bewerten den Agro-Riesen inzwischen nach ganz anderen Zahlen. Dementsprechend warteten sie gespannt auf die neuesten Angaben zur Menge der Glyphosat-Klagen. Und was sie da hörten, tat Mehr Profit, mehr Glyphosat-Klagen

Von Jan Pehrke

„Ich möchte heute mit Ihnen auf das Geschäftsjahr 2019 zurückblicken, das für mich unter der Überschrift steht: ‚Wir haben geliefert’“, hob BAYER-Chef Werner Baumann auf der Bilanz-Pressekonferenz des Konzerns am 27. Februar an. Zunächst meldete er im Hinblick auf die Einahmen Vollzug und verwies auf die 43,5 Milliarden Euro Umsatz. „Das ist der höchste Wert, der jemals bei BAYER erzielt wurde“, so Baumann stolz. Auch mit dem Ende 2018 angekündigten „Portfolio-, Effizienz- und Strukturmaßnahmen“, welche die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen vorsehen, lag der Agro-Riese ihm zufolge im Soll. Mit den „Positionen“, die das Unternehmen in „Populationen“ streicht – wie Finanzvorstand Wolfgang Nickl den Kahlschlag umschrieb – geht es nach Bekunden des Vorstandsvorsitzendes nämlich zügig voran.

Die Investoren warteten allerdings auf ganz andere Zahlen, die zu den Glyphosat-Prozessen nämlich. „Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, war der Rechtskomplex um unseren Wirkstoff Glyphosat eines der prägenden Themen für BAYER im Jahr 2019, auch wenn wir es uns anders gewünscht hätten“, mit diesen Worten leitete Werner Baumann zu dem schwierigen Kapitel über. Und was die Investoren daraus zu hören bekamen, war nicht gerade dazu angetan, sie zu erfreuen. 48.600 Klagen von Geschädigten des Herbizids sieht sich der Global Player mittlerweile gegenüber – noch einmal 5.300 mehr als im Oktober 2019. Trotzdem steht der BAYER-Chef nach wie vor in Treue fest zu dem Produkt. „Glyphosat war und ist bei sachgemäßer Anwendung sicher“, bekräftigte er in seiner Rede und kündigte an: „Wir werden die drei Berufungsverfahren notfalls durch alle Instanzen betreiben.“

Flankenschutz bekam der Konzern dabei jüngst von der US-Regierung. „Die Trump-Administration stützt BAYER in Herbizid-Verfahren“ meldete das Wall Street Journal. Das Justizministerium nutzte das Rechtsinstitut des „Amicus Curiae“, das Unbeteiligten Einlassungen zu laufenden Prozessen erlaubt, und setzte einen Brief an das Gericht auf. In diesem befand es kurzerhand: „Der Kläger ist im Unrecht“ und verlangte von den RichterInnen, das Urteil aufzuheben.
Das durfte Werner Baumann in seinen Ausführungen natürlich nicht unerwähnt lassen: „Zuletzt hat die US-Regierung im Rahmen einer Stellungnahme für eines der Verfahren wichtige Punkte unserer Argumentation ausdrücklich bekräftigt.“ Zu den parallel zu den juristischen Auseinandersetzungen laufenden Mediationsgesprächen unter der Leitung des Anwalts Ken Feinberg bemerkte er dagegen nur knapp, BAYER beteilige sich „weiterhin konstruktiv“ daran.
In den Wochen nach der Bilanz-Pressekonferenz häuften sich dann Berichte, die von kurz vor dem Abschluss stehenden Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Geschädigten kündeten. Auch eine konkrete Schmerzengsgeld-Summe stand schon im Raum: Zehn Milliarden Dollar. Noch aber gibt es keine solche Übereinkunft, und das liegt nicht unbedingt am Geld. Normalerweise gehen die Vergleiche bei Produkthaftungsverfahren für den Hersteller nämlich immer mit der Pflicht einher, künftig besser vor den Risiken und Nebenwirkungen seiner Hervorbringungen zu warnen. BAYER müsste also auf die Krebs-Gefahr von Glyphosat hinweisen. Da ist allerdings die US-amerikanische Umweltbehörde EPA vor, denn diese hat – von Donald Trump auf Linie gebracht – dem Herbizid erst vor Kurzem Unbedenklichkeit attestiert. Aber nicht nur das erschwert die Einigung. Weitere Kopfschmerzen bereitet Feinberg die vom Leverkusener Multi erhobene Forderung, durch das Übereinkommen in Zukunft vor Klagen gewappnet zu sein. Künftigen Glyphosat-Kranken den Rechtsweg verbauen zu wollen – das rührt an die Grundfeste des Rechtsstaats und bringt JuristInnen in Gewissensnöte. „Das ist wirklich am Rande dessen, was Sie als Anwalt ethisch einwandfrei tun können, sagt der Rechtswissenschaftler David Noll von der „Rutgers Law School“.

In dem zeitgleich mit der Bilanz-Pressekonferenz erschienenen Geschäftsbericht hat der Konzern seine AktionärInnen schon einmal auf die mit dem „Rechtskomplex“ eventuell verbundenden Kosten hingewiesen und auf mögliche drastische Schritte wie Verkäufe von Unternehmensteilen eingestimmt. „Wir könnten gezwungen sein, diesen möglichen erhöhten Finanzbedarf durch die Aufnahme weiterer fremdfinanzierter Mittel, durch die Erhöhung unseres Eigenkapitals, durch die Veräußerung von Vermögenswerten – ggf. zu ungünstigen Konditionen – oder durch Kombinationen dieser Instrumente zu decken“, heißt es dort.

Damit nicht genug, geht in Sachen „Glyphosat“ jetzt auch noch ein US-amerikanischer Investor gerichtlich gegen BAYER vor. Rebecca Haussmann vom KONSTANTIN S. HAUSSMANN TRUST beschuldigt das Management, bei der Prüfung der MONSANTO-Übernahme den Prozess-Risiken nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt zu haben und verlangt deshalb Schadensersatz. 168 Seiten brauchte die Klageschrift, um alle Versäumnisse aufzulisten. Haussmann bringt auch den kurz vor der Bilanz-Pressekonferenz bekanntgegebenen vorzeitigen Rücktritt von BAYER-Aufsichtsratschef Werner Wenning mit den von ihr erhobenen Vorwürfen in Verbindung. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) sieht ebenfalls einen Zusammenhang mit dem Desaster-Deal. Die GroßaktionärInnen des Konzerns schassten Wenning offenkundig, weil er derjenige ist, der für die Akquisition hauptverantwortlich ist und es dem Manager nun schon seit Jahren nicht gelingt, die damit verbundenen Skandale und Katastrophen einzudämmen.

Diese ganze Gemengelage ließ am 28. April eine turbulente Hauptversammlung erwarten, und die CBG schickte sich wieder an, das ihrige dazu beizutragen. Aber das hat der Leverkusener Multi jetzt umgangen. Während alle anderen Unternehmen ihre AktionärInnen-Treffen wegen der Corona-Krise verschoben, nutzte BAYER die Pandemie, um die HV ins Internet zu verlegen und so den zu erwartenden Protest vor und im Bonner World Conference Center auszubremsen. Die Coordination wird jedoch trotzdem alles tun, um den Tag für den Leverkusener Multi so unangenehm wie möglich zu gestalten.