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Länder-Risiken

BAYERs Pharma-Lieferketten in der Kritik

Im Zuge der Globalisierung hat die „Apotheke der Welt“ den Standort gewechselt. Ihre größten Filialen stehen heute in Indien und China. Ein großer Teil der Wirkstoffe und Vorprodukte für den Pharma-Weltmarkt kommt mittlerweile aus diesen beiden Ländern. Dort locken nämlich Standort-Vorteile wie niedrige Herstellungskosten und laxe Umwelt-Auflagen, was katastrophale Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. BAYER aber lässt auf die ersten Glieder seiner Arznei-Lieferketten nichts kommen, was sich nicht mit ein paar Schulungen beheben ließe.

Von Jan Pehrke

„Lassen Sie uns nicht im Stich. Stoppen Sie den Bezug von Medikamenten aus dieser Gegend. Sie kaufen hier, um Ihr Leben zu retten, auf Kosten anderer. Ist es denn ein Verbrechen, Bewohner dieser Gegend zu sein?“, diesen Hilferuf des Arztes Kishan Rao zitierte das Stichwort BAYER 4/17 in seinem Artikel über die indischen und chinesischen Hot Spots der globalen Pharma-Produktion. Diese beiden Länder bilden die ersten Glieder der Arznei-Lieferketten von BAYER & Co. Zudem dominieren sie den Weltmarkt für nicht mehr patent-geschützte Medikamente. Mit Werbe‑Sprüchen wie „Maximale Förderung – minimale Kontrolle“ und niedrigen Herstellungskosten haben Städte wie Hyderabad erfolgreich um Industrie-Ansiedlungen geworben. Den Preis dafür zahlen Mensch, Tier und Umwelt. Besonders die Einleitung von antibiotika-haltigen Abwässern in die Flüsse und Seen entfaltet eine fatale Wirkung. Durch die permanente Zufuhr von Ciprofloxacin & Co. gewöhnen sich die Krankheitserreger nämlich an die Substanzen und bilden Resistenzen heraus. Solche „Superbugs“ verbreiten sich nirgendwo auf der Welt so stark wie in Indien. Allein im Jahr 2013 starben dort 58.000 Babys, weil sie sich mit Keimen infiziert hatten, gegen die kein Kraut mehr gewachsen war.
Von AktivistInnen direkt mit diesen Missständen konfrontiert, warf der Leverkusener Multi die Phrasendresch-Maschine an. „Verantwortungsvolle Geschäftspraktiken sind für BAYER über die gesamte Supply Chain hinweg eine Selbstverständlichkeit. Dieser Anspruch gilt sowohl für die Herstellung von pharmazeutischen Wirkstoffen in unseren eigenen Betrieben, aber auch für die Beschaffung von entsprechendem Material bei externen Lieferanten“, ließ er verlauten. Warum aber paraphierte der Global Player dann die „Davos Declaration“ nicht, welche die Konzerne verpflichtet, ihre Lieferketten zu kontrollieren und gegebenenfalls „das Abfall- und Abwasser-Management zu verbessern“? „Antibiotika stehen (...) nicht mehr im Fokus unseres Produkt-Portfolios. Vor diesem Hintergrund hat unser Unternehmen die von Ihnen angesprochene ‚Davos Declaration’ nicht unterzeichnet“, führte der Pharma-Riese zur Begründung an.
Auf der Hauptversammlung Ende Mai 2018 gab die Aktien-Gesellschaft sich kaum auskunftsfreudiger. Sie räumte zwar ein, „Vorstufen der Wirkstoffe sowie einen kleinen Teil fertiger Wirkstoffe vom globalen Markt einschließlich Indien und China“ zu beziehen, versicherte aber, bei der Anbahnung von Geschäftsbeziehungen höchste Sorgfalt walten zu lassen. „BAYER wählt alle Lieferanten im Einklang mit seinen ethischen und ökologischen und sozialen Standards aus“, hielt der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann fest. Namen wollte er allerdings nicht nennen: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir darüber hinaus aus Wettbewerbsgründen keine detaillierten Angaben zu einzelnen Lieferanten machen.“
Eine deutlichere Sprache spricht hingegen der letzte Geschäftsbericht des Multis. „Im Rahmen unserer Lieferanten-Nachhaltigkeitsbewertungen haben wir besonders für China und Indien ein Länder-Risiko identifiziert“, heißt es dort. Der Gentech-Gigant wusste jedoch zugleich Abhilfe. Schulungen, Trainings und Workshops sollten es richten.

So ganz bei solchen freiwilligen Maßnahmen belassen will es die Bundesregierung jedoch nicht. Im Sommer 2018 hatte nämlich ein Medikament made in China für einen Pharma-Skandal gesorgt: Überall auf der Welt tauchten Chargen des blutdruck-senkenden Wirkstoffs Valsartan auf, die mit der krebserregenden Substanz Nitrosamin verunreinigt waren. Und da die Konzentration auf dem Sektor der Pillen-Produktion inzwischen ein großes Ausmaß angenommen hat – Zhejiang Huahai belieferte allein in Deutschland 16 Arznei-Firmen mit dem Pharmazeutikum – verfügten die Apotheken kaum noch über sauberes Valsartan. Normalisiert hat sich die Lage bis heute nicht. Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ (BfArM) führt den Blutdruck-Senker immer noch auf seiner langen Liste der Lieferengpässe.

Die Politik erkannte daraufhin Handlungsbedarf – jedenfalls ein bisschen. In das geplante „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittel-Versorgung“ fanden auch zwei kleine Abschnitte zur Minimierung der Risiken und Nebenwirkungen der globalisierten Pharma-Lieferketten Eingang. CDU und SPD beabsichtigen, die Inspektionen bei den Wirkstoff-Herstellern durch einen besseren Informationsaustausch zwischen Bund und Ländern effektiver zu gestalten. Allerdings gibt es da nicht viel Gestaltungsspielraum, weil Hausbesuche in chinesischen und indischen Fabriken kaum stattfinden. Schließlich möchten die PolitikerInnen mehr Transparenz in diesem Sektor. „Informationen über Wirkstoff-Hersteller werden öffentlich“, kündigt das Bundesgesundheitsministerium an. Die Betriebsgeheimnisse von Big Pharma dürften dabei aber auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) heilig bleiben.
Überdies zeigen sich Merkel & Co. nur wenig ambitioniert, internationale Vereinbarungen, die zur Verbesserung der Lage in Indien und China beitragen könnten, wirklich stark zu machen. So gibt es seit 1966 ein UN-Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, den so genannten UN-Sozialpakt, der die Verantwortung der Unternehmen nicht an ihren Fabrik-Toren enden lässt, sondern die Firmen auch für ihre Lieferketten rechenschaftspflichtig macht. Das hatte die Bundesrepublik einst noch mit unterzeichnet, aber das Zusatz-Protokoll von 2008, das Beschwerde- und Untersuchungsverfahren vorsieht – also konkrete Schritte, die vielleicht sogar zu Sanktionsmöglichkeiten führen – trägt sie bis heute nicht mit. Das FORUM MENSCHENRECHTE kritisiert diese Verweigerungshaltung massiv. „Zur vollen Anerkennung der Menschenrechte gehört auch die volle Anerkennung der Kontroll-Verfahren, so Michael Krennerich vom Koordinierungskreis des Forums.

Bei der Umsetzung der im Juni 2011 vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen verabschiedeten Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte hapert es ebenfalls. Der Nationale Aktionsplan (NAP) zur „Einhaltung von Menschenrechten in globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten“ enthält dank des Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. nämlich keinerlei verbindliche Regelungen. Stattdessen setzt Berlin auf Freiwilligkeit. Darüber hinaus belassen CDU und SPD es dabei, den Konzernen Berichtspflichten aufzuerlegen. Und zu allem Übel haben sie mit der Abwicklung des ganzen Monitoring-Prozesses ausgerechnet die Unternehmensberatung ERNST & YOUNG betraut, die sich bisher nicht durch besondere Expertise in Menschenrechtsfragen hervorgetan hat. Auf deren Fragebögen können sich die Firmen der lästigen Aufgabe meistens per „Multiple Choice“ entledigen. Es reicht überdies, wenn sie intern bestimmte Prozesse zur Überprüfung ihrer Geschäftstätigkeiten im Ausland etabliert haben. Einen Wirksamkeitsnachweis müssen die Konzerne nicht erbringen. Trotzdem klagen sie bereits lauthals über den mit dem Nationalen Aktionsplan angeblich verbundenen bürokratischen Aufwand.
Viel zutage gefördert hat dieser bisher nicht. Eine „magere Halbzeit-Bilanz“ zogen der DGB, das FORUM MENSCHENRECHTE, VENRO und andere Gruppen. „Schon bei der Erarbeitung des Aktionsplans hatte die Bundesregierung keinen Mut zu verbindlichen Menschenrechtsauflagen für Unternehmen aufgebracht“, kritisiert DGB-Chef Reiner Hoffmann und fährt fort: „Die gleiche Mutlosigkeit kennzeichnet leider auch die Umsetzung des ohnehin schwachen Aktionsplans.“ Die Verbände treten daher für ein Gesetz ein, das BAYER & Co. zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet, wie es Länder wie Großbritannien, Frankreich und die Schweiz bereits verabschiedet haben. Das UN-Komitee für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte teilt dieses Anliegen. In seinem Report zur Lage der Menschenrechte in Deutschland hält das Gremium fest: „Das Komitee begrüßt die Implementierung eines Nationalen Aktionsplans zu Wirtschaft und Menschenrechten, bedauert aber die rein freiwillige Natur der Maßnahmen und das Fehlen wirksamer Kontroll-Mechanismen.“ Daher empfiehlt es, ein Regelwerk zu schaffen, das die Konzerne für alle mit ihrer Geschäftstätigkeit verbundenen Menschenrechtsverletzungen „nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland“ in Haftung nimmt.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) verlangt ebenfalls ein strafbewehrtes Paragrafen-Werk. Das genügt ihrer Ansicht nach aber längst nicht. Der Autor dieser Zeilen formulierte am Ende seines Vortrages „An der Lieferkette von BAYER, NOVARTIS, ROCHE & Co.: Die Pharma-Sweatshops in Indien und China“, den er im Dezember 2018 auf Einladung des „Runden Tisches Bayern“ hielt, weitergehende Forderungen. Er trat für wirksame Kontrollen vor Ort ein. Ihm zufolge muss das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ es der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA gleichtun und Filialen in China und Indien eröffnen. Zudem hielt er es für notwendig, Herkunftsvermerke auf den Arznei-Packungen anzubringen. Überdies drang der CBGler darauf, die Qualitätsnormen zur Produktion von Medikamenten um Umweltschutz-Vorschriften zu ergänzen und Verstöße mit schmerzlichen Strafen bis hin zum Lizenz-Entzug zu ahnden. Nur so ist es vielleicht zu erreichen, dass meterhohe Schaumwände auf den Flüssen, in allen Farben des Spektrum schillernde Gewässer und tiefschwarzes, teeriges Sediment auf dem Grund der Seen mit all den damit verbundenen Gefährdungen für Mensch, Tier und Umwelt bald nicht mehr zum Alltag der Städte rund um die Arznei-Sweatshops gehören.