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STICHWORT BAYER 02/2015

Agent Orange & Co.

BAYER in Vietnam

Vor vierzig Jahren endete der Vietnam-Krieg. Aber Opfer fordert er immer noch. Das zeigt jetzt ein neuer Dokumentarfilm, dessen Titel „Lighter than Orange“ schon einen Hinweis auf den Grund für das lange Fortdauern des Schreckens gibt. Er spielt nämlich auf das seine giftige Wirkung bis heute entfaltende Pestizid Agent Orange an. Einer der Lieferanten der Chemie-Waffe, welche die US-Armee zur Entlaubung des Dschungels einsetzte, um südvietnamesische Guerilla-KämpferInnen besser aufspüren zu können: Der Leverkusener Multi BAYER. Und auch sonst kann der Konzern auf reichlich Erfahrung im Zusammenhang mit Kriegseinsätzen von Chemikalien zurückblicken.

„Die Flugzeuge mit dem Agent Orange flogen immer über uns. Es wurde wie ein Regen zerstreut, so wie wir Dünger verstreuen. Innerhalb kurzer Zeit verloren die Bäume ihre Blätter. Sie waren kahl, und wir waren dem ausgesetzt. Es kroch in die Nase, in den Mund, es roch so scharf, dass wir niesen mussten“, mit diesen Worten beschreibt der Vietnamkrieg-Teilnehmer Nguyen Van Pham in dem Film „Lighter than Orange“ von Matthias Leupold die Chemie, die aus der Höhe kam. Mit feuchten Tüchern versuchten sich die SoldatInnen zu schützen. Wer keines zur Hand hatte, der bekam sofort Ausschlag im Gesicht. Was da genau vom Himmel fiel, und was es alles in ihnen – und vor allem in den nachfolgenden Generationen – anrichten sollte, darüber waren die nordvietnamesischen KämpferInnen sich zu dem Zeitpunkt aber noch nicht im Klaren. „Wir wussten überhaupt nicht, dass es dioxin-haltiges Gift war, das sie versprühten“, sagt Ha Ngoc Phuc in der Dokumentation. Und von den erbgut-schädigenden Wirkungen ahnten er und seine KameradInnen auch nichts. Do Duc Diu musste zwölf seiner Kinder begraben, und vermochte sein Leid trotzdem noch nicht in Zusammenhang mit dem Pestizid zu bringen: „Ich wusste immer noch nicht, dass ich ein „Agent Orange“-Opfer bin.“
Agent Orange kam in Vietnam nicht zu seinem ersten Kriegseinsatz; die Briten hatten das Herbizid zuvor schon in ihrem Kampf gegen die malaysische Befreiungsarmee verwendet. Aber die US-amerikanische „Operation Hades“, die später unter dem Namen „Operation Ranch Hand“ firmierte, sprengte die Dimension des englischen „Herbicidal warfare“ bei Weitem. Zwischen 1962 und 1970 gingen rund 43 Millionen Liter der Chemikalie, die aus den beiden Substanzen 2,4-D und 2,4,5-D besteht, auf Vietnam herab. Die Nachfrage des „U. S. Chemical Corps“ war so groß, dass die Firmen mit der Produktion gar nicht mehr nachkamen und bei der Fertigung Fehler machten. Sie verunreinigten das 2,4,5-D mit Dioxin und potenzierten damit die giftige Wirkung noch, die ohnehin schon immens war: Die Konzentration der Inhaltsstoffe überstieg die des für „zivile“ Zwecke genutzten Agent Orange um ein Vielfaches. Und entsprechend verändert waren auch die Mixturen der anderen Vietnam-Pestizide wie Agent White, Blue, Purple, Pink and Green. Sie sollten nämlich nicht nur wie im zivilen Leben den Unkräutern zu Leibe rücken, sondern einen ganzen Dschungel entlauben und zudem auf den Feldern verbrannte Erde hinterlassen, um den VietnamesInnen auf diese Weise ihre Nahrungsgrundlage zu rauben.
Ein Viertel von ganz Südvietnam suchten die Substanzen heim, darunter 3.181 Dörfer. Auf einer Fläche von mehr als zwei Millionen Hektar vergifteten die 68 insgesamt zum Einsatz gekommenen Pestizide Böden und Grundwasser. Fast 18 Millionen Menschen kamen im Zuge der „Operation Ranch Hand“ so mit den Agrochemikalien in Kontakt. Bei bis zu drei Millionen von ihnen haben sie gesundheitliche Schäden verursacht. Und es kommen ständig neue Opfer dazu, denn die Stoffe befinden sich immer noch im Erdreich, was Vietnam mit der Chemie-Katastrophe von Bhopal verbindet (SWB 4/14). In manchen Gebieten liegen die Konzentrationen um den Faktor 1.000.000 über dem zulässigen Grenzwert. „Wie viele hundert Jahre wird das Dioxin brauchen, um sich aufzulösen?“, fragt sich Nguyen Thi Ngoc Hanh vom Verein für „Agent Orange“-Geschädigte in Matthias Leupolds Film deshalb.

Lieferant BAYER
Auch BAYER zählte zu den Lieferanten, verfügt der Konzern doch über vielfältige Erfahrungen bei der Nutzung von Chemikalien für militärische Zwecke. Das Unternehmen entwickelte schon für den Ersten Weltkrieg Chemiewaffen wie das Senfgas Lost (SWB 3/14). In den 1930er Jahren braute sein Forscher Gerhard Schrader dann die Giftgase Sarin und Tabun zusammen und stellte sein Wissen nach 1945 auch den USA zur Verfügung, bevor er wieder zum Leverkusener Multi zurückkehrte und weiter an kriegsverwendungsfähigen Stoffen arbeitete. So beruhen die von den Vereinigten Staaten produzierten Kampfstoffe VX, VE, VM, VS und 33SN zum Teil auf seinen Patenten.
BAYER fertigte von dem Agent-Orange-Bestandteil 2,4,5-D zur Zeit des Vietnam-Krieges jährlich 700 bis 800 Tonnen und verkaufte einen Teil der Produktion an die französische Firma PRODIL. Diese wiederum verarbeitete die Trichlorphenoxy-Essigsäure weiter zu Agent Orange und lieferte das Herbizid nach Asien.
Ein Akten-Notiz der ebenfalls mit PRODIL Geschäfte machenden BOEHRINGER AG belegt dies: „BAYER und PRODIL haben auf dem 2,4,5-D-Sektor seit Jahren (Vietnam) zusammengearbeitet“. Darüber hinaus steht MOBAY, das vom Leverkusener Multi lange mit MONSANTO gemeinsam betriebene Joint Venture, in dringendem Tatverdacht, ebenfalls Tätigkeiten „auf dem 2,4,5-D-Sektor“ unternommen zu haben – entsprechende Vorwürfe hat der Pharma-Riese nie dementiert. Die Essigsäure suchte das südostasiatische Land als Agent Green aber auch in Reinform heim. Und wieder war BAYER mit von der Partie, das geht aus der damaligen Lieferliste der US-Regierung hervor. Zudem führt das Dokument den Agro-Mogul noch als Bezugsquelle von Zineb und Dalapon auf. Teilweise legten die Substanzen dabei einen weiten Weg zurück. Einige von ihnen gelangten über Konzern-Niederlassungen in den damals autoritär regierten Staaten Spanien und Südafrika zur US-Tochter CHEMAGRO und von dort dann zu den Militärbasen. Die Zeitschrift International Defense Business konnte für das Jahr 1972 sogar genau den Wert von BAYERs Kriegsbeitrag beziffern. 1,8 Millionen DM stellte die Aktiengesellschaft für die verschiedenen Chemikalien in Rechnung.
ExpertInnen von BAYER und HOECHST standen der US-Army aber auch direkt vor Ort mit Rat und Tat zur Seite, wie der bekannte US-amerikanische Enthüllungsjournalist Seymour M. Hersh in seinem Buch „Chemical and Biological Warfare“ schreibt. Als medizinische Helfer getarnt, arbeiteten sie dem US-amerikanischen Planungsbüro für B- und C-Waffeneinsätze in Saigon zu. Die transatlantische Kooperation vermochte sich dabei sogar auf alte Verbindungen zu stützen: Die Abstimmung zwischen den US-amerikanischen und bundesdeutschen Chemie-Firmen übernahm GENERAL ANILINE AND FILM CORPORATION, die ehemalige US-Tochter des vom Leverkusener Multi gegründeten Mörder-Konzerns IG FARBEN.
Entschädigung mussten die Firmen den vietnamesischen Opfern ihrer Pestizide nie zahlen. 2005 schmetterte ein Gericht die entsprechende Klage ab. Um einen völkerrechtswidrigen Chemiewaffen-Einsatz habe es sich bei der „Operation Ranch Hand“ nicht gehandelt, urteilten die RichterInnen. Mit den einheimischen Soldaten, die durch das „friendly fire“ von Agent Orange & Co. ihre Gesundheit ruinierten, einigten die Unternehmen sich in einem außergerichtlichen Vergleich auf die Einrichtung eines Fonds in Höhe von 180 Millionen Dollar. Ein Schuldeingeständnis war damit freilich nicht verbunden. MONSANTO etwa rechtfertigt das Ausbringen der Chemikalie noch heute. Die Flugzeuge hätten das Herbizid versprüht, „um das Leben der US-Soldaten und ihrer Verbündeter zu schützen und zu retten“, heißt es auf der Webseite des Konzerns.

Vietnam keine Zäsur
Nach Vietnam konnten Ackergifte und andere Chemikalien ihre militärische Karriere bruchlos fortsetzen. Der Irak bediente sich sowohl bei den Angriffen gegen die kurdische Bevölkerungsgruppe als auch im Krieg gegen den Iran der BAYER-Erfindungen Tabun, Sarin und Lost. Und das angegriffene Land rüstete seinerseits nach. Es begann in den achtziger Jahren mit Planungen zu einem großen Chemie-Komplex mit angeschlossener Pestizid-Produktion nahe der Stadt Ghaswin. 1984 verkaufte der Leverkusener Multi dem Staat dafür Lizenzen zur Fertigung von Azinphos-Methyl und Fenitrothion – beides chemiewaffen-fähige Substanzen. Die Aufsichtsbehörden genehmigten den Deal, rieten dem Konzern aber von weiteren Geschäften im Zusammenhang mit Ghaswin ab. Der Konzern hielt sich jedoch nicht daran. Ab 1987 lieferte er Teile einer Anlage zur Agrochemie-Produktion dorthin. Das Unternehmen verstieß damit sowohl gegen einen internen Beschluss von 1984, keinen „Chemical warfare“ zu befördern, als auch gegen das solche Geschäfte ausdrücklich verbietende Außenwirtschaftsgesetz. Dass die USA und der Irak bei der Bundesregierung intervenierten, um die Ausfuhr zu verhindern, hielt den Agro-Riesen ebenfalls nicht auf. 1988 machte er dann zumindest den Pestizid-Deal rückgängig, nicht nur „weil das Produkt inzwischen von der BAYER AG nicht mehr hergestellt und vertrieben wird“, sondern auch, „weil aufgrund des allgemeinen politischen Umfeldes im Mittleren Osten ein möglicher Missbrauch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden könnte“.
Ende 1989 leitete die Kölner Oberfinanzdirektion wegen Verletzung der Ausfuhrbestimmungen ein Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen ein. „‚Das Endprodukt‘ könnte ‚auch zur Bekämpfung von Warmblütern‘ eingesetzt werden und ‚damit als Kampfgas dienen‘“, so begründete die Institution ihr Vorgehen laut Spiegel. Zur Beweissicherung führten FahnderInnen Razzien in den Dormagener, Leverkusener und Monheimer BAYER-Niederlassungen durch und stellten drei Dutzend Ordner mit Konstruktionsplänen sicher. Zu einer Verurteilung kam es dann allerdings nie. All diesen Verstrickungen zum Trotz durfte der Multi dann auch noch ganz offiziell als Friedensstifter auftreten: Der BAYER-Direktor Prof. Hoffmann vertrat die Bundesrepublik Deutschland lange Zeit bei den Genfer Verhandlungen zur Abschaffung der Chemiewaffen.
Aber nach seinen Erfahrungen mit der Justiz war der Global Player gewarnt. 1990 weigerte er sich, der US-Regierung 72,5 Tonnen Thionylchlorid zur Produktion von Senfgas zu verkaufen. Die Vereinigten Staaten hatten sich zwar gerade mit der Sowjetunion auf einen Bann chemischer Waffen verständigt, beabsichtigten aber, ihre Bestände vor dem endgültigen Inkrafttreten der Vereinbarung noch einmal kräftig aufzufüllen. Doch BAYERs US-Tochter MOBAY wollte nicht liefern. „Selbstverständlich glauben wir an eine robuste Landesverteidigung, aber wir glauben nicht, dass das dazu nötig ist“, sagte der MOBAY-Boss Nick Prater und verwies dabei auf eine anderthalb Jahre zuvor getroffene Entscheidung des Konzern-Ablegers, die Politik der Mutter-Gesellschaft in Sachen „Chemie-Waffen“ zu übernehmen. Nur wenn sich der Staat auf den „Defense Production Act“ von 1950 berufe und das Thionylchlorid unmissverständlich einfordere, werde sich sein Unternehmen fügen und die Substanz zur Verfügung stellen, stellte Prater klar. So weit mochte die Regierung von George Bush dem Älteren zu dem Zeitpunkt aber nicht zu gehen.
Trotzdem führen die Pestizide auch nach dieser „Kriegsdienstverweigerung“ noch kein ausschließlich ziviles Leben. So dienen sie etwa als Waffen im „War on drugs“ und zerstören Koka-, Mohn- und Marihuana-Ernten, wobei ihnen noch so manches andere vor die Flinte gerät. Die Gifte schädigen die Böden und sickern in das Grundwasser ein, was die Gesundheit von Mensch und Tier bedroht. Das Mittel der Wahl ist hierbei zwar MONSANTOs ROUND UP mit dem Wirkstoff Glyphosat, die Drogen-KriegerInnen greifen jedoch auch auf den „Agent Orange“-Bestandteil 2,4-D und andere Produkte zurück – und BAYER dürfte bei den Bestellungen nicht ganz leer ausgehen.
Das Kapitel „Agent Orange“ verfolgt das Unternehmen ebenfalls weiter. Im Jahr 2003 kündigten Apartheidsopfer eine Sammelklage unter anderem gegen den Leverkusener Multi an, weil dieser „Agent Orange“ in Südafrika nicht nur für den Export produzierte: Der Konzern fand auch in dem rassistischen Staat selbst einen dankbaren Abnehmer. Das Regime zog mit der Agrochemikalie in die Kriege gegen Namibia, Angola und Mosambik und bekämpfte mit ihr den AFRIKANISCHEN NATIONALKONGRESS (ANC). Darüber hinaus hat der Global Player noch „Agent Orange“-Altlasten geerbt. In den USA hat ein nunmehr zum Pharma-Riesen gehörender Agrochemie-Hersteller zwischen 1969 bis 1971 Produktionsrückstände einfach in die Wüste geschickt. Mehr als vier Millionen Liter eines Vorproduktes des Vietnam-Giftes sowie anderer Substanzen hatte dieser einfach unweit des Alkali Lake im Bundesstaat Oregon abgeladen. Dort rosteten die Fässer vor sich hin, und die Chemikalien traten aus. Schließlich rückten Bulldozer an und räumten das Lager, wobei sie die Behältnisse noch mehr zerstörten – und die Substanzen endgültig dem Wüstensand überantworteten. Die Regierungsbehörden verlangten von BAYER als Rechtsnachfolger des Umweltverschmutzers, sich in angemessener Form an der Sanierung des Geländes zu beteiligen. 2009 signalisierte der Pharma-Riese dazu auch Bereitschaft, zahlte die zugesagten 700.000 Dollar jedoch nie, weshalb die Arbeiten ruhen.
Und so verrichtet das „Agent Orange“ seine giftige Arbeit weiter. Der Agro-Riese hat das Wissen um die Chemikalie sogar ins Gentechnik-Zeitalter überführt. Er hält das Patent auf ein Enzym, das imstande ist, den „Agent Orange“-Bestandteil 2,4-D zu neutralisieren. Ein ähnliches Protein hat DOW CHEMICAL nebst zwei weiteren, für die der Konzern im Zuge von Tausch-Vereinbarungen Lizenzen von BAYER und MONSANTO erhielt, jüngst in eine Laborfrucht eingebaut. So können dann jetzt wenigstens ein paar Pflanzen dem Agent Orange trotzen. Von Jan Pehrke