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Tödliche Medikamententests
Pharmastudien in Indien

11. September 2012

Pharmastudien in Indien

WDR Reportage „Pharma-Sklaven“

WDR-Doku anschauen: http:vimeo.com/49356105

Nach Angaben der indischen Regierung starben im vergangenen Jahr 438 Probanden bei der Durchführung von Klinischen Studien. Eine Aufstellung des Drugs Controller General of India (DCGI) für 2011 zeigt, dass allein bei Pharma-Tests von Novartis 57 Testpersonen starben. Auf der Liste folgen BAYER und Pfizer mit je 20 Todesfällen und Bristol Mayer Squibb mit 19.

Die gestern im WDR ausgestrahlte Reportage „Pharma-Sklaven“ belegt einmal mehr, dass bei solchen Studien gegen ethische Mindeststandards verstoßen wird. Die Recherche zeigt, dass die sogenannten „Ethik-Kommissionen“ nur auf dem Papier existieren und keinerlei Prüfung der Studien und der getesteten Medikamente vornehmen. Den Ethik-Kommissionen sind nicht einmal die Namen der untersuchten Personen bekannt. Die Zusammensetzung und die Entscheidungen der Gremien unterliegen keinerlei Kontrolle.

Der indische Arzt und Medizinjournalist Dr. Chandra Gulhati war selbst jahrelang Mitglied einer solchen Kommission. „Einfach jeder kann in Indien eine unabhängige Ethik-Kommission gründen und Zulassungspapiere ausstellen", so Gulhati. „Man zahlt an die Kommission, und man bekommt den Stempel. So einfach ist das." Die Patientenrechte würden viele Ethikkommissionen in Indien leider nicht schützen. „Alle machen Geld: Die Pharmafirma, der Arzt, das Krankenhaus. Auf Kosten des Patienten." Den ausländischen Pharmafirmen sei dies bewusst. „Genau deshalb kommen sie ja nach Indien", so Dr. Gulhati weiter.

Auch zeigt die WDR-Dokumentation, dass einem Großteil der Test-Personen nicht bekannt ist, dass sie an einer Studie teilnehmen. Viele Probanden sind Analphabeten und ahnen nicht, dass sie möglicherweise Placebos erhalten - oder Medikamente, die noch nicht zugelassen sind. Die vom WDR interviewte Patientin Ameena berichtet beispielsweise: „Was das für Tabletten waren, weiß ich nicht". Der Arzt bat sie, einige Papiere zu unterschreiben. „Aber ich kann nicht lesen und schreiben, deshalb weiß ich nicht genau, was das war. Ich habe meinem Arzt vertraut, dass er mich heilen kann." Einige Papiere habe sie deshalb mit ihrem Daumenabdruck abgezeichnet. Aus einer Aufstellung der Polizeibehörde geht hervor, dass Ameena unwissentlich an einer klinischen Studie des Pharmakonzerns Bristol-Myers Squibb teilnahm. Die von Ameena aufbewahrte Medikamentenschachtel trägt die Aufschrift: „Vorsicht neues Medikament. Laut US-Gesetz nur für den Test-Gebrauch bestimmt".

Der vom WDR interviewte Vijay (Name geändert) wollte sich wegen eines chronischen Lungenleidens am staatlichen Zentrum für Thoraxerkrankungen behandeln lassen. Sein dortiger Arzt habe ihn angesprochen, ob er nicht in seine private Klinik kommen möchte. „Er sagte mir, dass sie Medizin für mich hätten, die mich heilen könnte. Tabletten aus dem Ausland. Kostenlos. Man forderte mich dann auf, ganz viele Papiere zu unterschreiben. Aber der Arzt sagte mir: Das sind nur Formalitäten, sonst nichts." Auch Vijay wurde nicht misstrauisch. Doch auch er war eine Versuchsperson - für die Firma Boehringer Ingelheim. Auf der Schachtel findet sich das Firmen-Logo, die englische Aufschrift „clinical trial" und die Versuchsnummer, unter der die Studie zu finden ist. Auf dem Beipackzettel in der Schachtel steht: Die Tabletten enthalten entweder ein bereits zugelassenes Mittel oder aber ein Placebo.

Diese Praxis ist ein klarer Verstoß gegen die Helsinki-Deklaration des Weltärztebundes, wonach Pharma-Tests nur erlaubt sind, wenn die Probanden vollständig über die Risiken der Versuche aufgeklärt werden. Nach Ansicht von Peter Sawicki, dem ehemaligen Leiter des Instituts für Wirtschaftlichkeit und Qualitätssicherung im Gesundheitswesen (IQWiG), sei es "schlicht kriminell", Patienten und Angehörige nicht darüber aufzuklären, dass sie Teil eines medizinischen Versuchs sind. Daher dürften die Test-Ergebnisse auch nicht bei der Zulassung von Pharmazeutika berücksichtigt werden. Die europäische Arzneimittelzulassungsbehörde EMA hat sich zu den aktuellen Fällen trotz Nachfrage nicht geäußert.

Nach Ansicht von Peter Sawicki sind die westlichen Firmen auch dann dafür zuständig, die Qualität und die Durchführung von Medikamenten-Studien zu gewährleisten, wenn sie diese an indische Subkontraktoren auslagern.

Indische Ärzte verdienen an solchen Tests mehr als durch ihre eigentliche Tätigkeit, teilweise allein 3500 Euro als Vorabzahlung. Das entspricht in etwa einem Jahresgehalt an staatlichen indischen Krankenhäusern. Weitere Unterlagen belegen Geschäftsreisen, zu denen die Mediziner von westlichen Pharmafirmen eingeladen wurden; der Arzt von Ameena flog zum Beispiel nach Frankreich. Bayer lud indische Ärzte, die Studien für das Unternehmen durchführten, zu Kongressen nach Spanien ein.

und eine Kurzversion: https:www.youtube.com/watch?v=Ltk0XM7r338

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