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STICHWORT BAYER 02/2012

Die Pipeline-Streitsache

BAYERs Rohrkrepierer

Seit sechs Jahren schwellt nun schon der Streit um die Pipeline, die BAYER zwischen Dormagen und Krefeld in Betrieb nehmen will. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Von Uwe Koopmann

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zeigt in seiner Terminvorschau für den Februar 2012 einen vollen Sitzungskalender für öffentliche Verhandlungen. BAYER, die CO-Pipeline und Bauer Muhr werden allerdings am Münsteraner Aegidienkirchplatz 5 in noch nicht erwartet. Eine genaue Auskunft über das Datum für die Entscheidung in Sachen „Kohlenmonoxid-Rohrleitung“ vermochten weder Dr. Ulrich Lau, Vorsitzender Richter am OVG Münster noch Michael Schlösser, Leitung Externe Kommunikation bei BAYER MATERIALSCIENCE AG in Leverkusen, zu geben. Dabei zieht sich die juristische Auseinandersetzung inzwischen schon über sechs Jahre hin. „Die Sache ist noch lange nicht ausgeschrieben. Bislang liegen lediglich die Berufungsbegründungen der Beteiligten vor. Stellungnahmen dazu stehen noch aus. Damit ist das Verfahren noch nicht entscheidungsreif und eine Terminierung derzeit nicht absehbar“, antwortete Lau auf eine entsprechende SWB-Nachfrage. Für BAYER ist das eine verlorene Zeit. Alles hätte – Time to Market – noch schneller und noch kostengünstiger laufen können. Wären da nicht die vielen engagierten Leute, die ebenfalls seit Jahren gegen die Inbetriebnahme der hochgiftigen CO-Pipeline des Konzerns kämpfen.

Wie alles anfing
Den Startschuss für die Pipeline gab der 15. März 2006, als das „Rohrleitungsgesetz“ im Plenum des NRW-Landtages ohne Aussprache beschlossen wurde. Das ging so glatt über die Bühne, weil schon zuvor der Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie eine zustimmende Empfehlung ausgesprochen hatte. In den Umweltausschuss brachten CDU und FDP den Gesetzentwurf erst gar nicht ein. Und dem Plenarsaal präsentierten sie ihn am 16. März unter dem irreführenden Titel: „Flüssiggas als Chance für mehr Versorgungssicherheit und Wettbewerb im Gasmarkt. Flüssiggas als Chance für mehr Versorgungssicherheit und Wettbewerb im Gasmarkt“. Auch die spätere Bezeichnung des Paragrafen-Werks trug nichts zur Erhellung bei: „Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen“.

Die partielle Blindheit der Landtagsabgeordneten oder potentielle Verblödung angesichts des harmlos erscheinenden Rohrleitungsgesetzes erklärt sich vielleicht auch etwas, wenn die „Geburtsstunde“ des Gesetzes in den Blick gerät. In dem Zusammenhang taucht die Frage auf, ob das Gesetz nach den Regeln der Geschäftsordnung des Landtages überhaupt hätte verabschiedet werden dürfen. Der Paragraph 39 hängt die Latte hoch: „Der Landtag ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend ist“. Aus heutiger Sicht ist es strittig, ob genug Abgeordnete im Saal waren. Das jedoch thematisierte während der Sitzung niemand, weshalb keine Ahndung erfolgte. Es hätte allerdings auch eine schnelle Reaktion sein müssen: „Die Beschlussfähigkeit des Hauses kann nur unmittelbar vor (Hervorhebung d. V.) einer Abstimmung angezweifelt werden.“ Nach der Abstimmung – oder heute – sind die Zweifel nicht mehr rechtswirksam. Es stellt sich trotzdem die Frage, warum kein einziger der späteren KritikerInnen der CO-Pipeline erklärt hat: „Aber hallo, der Saal ist ja mehr als nur halb leer!“ In diesem Fall hätte sich allerdings der zweite Notausgang geöffnet: „Wird die Plenarsitzung wegen Beschlussunfähigkeit aufgehoben, so wird die Abstimmung zu Beginn der nächsten Sitzung nachgeholt.“

Die ProtokollantInnen des Landtages hatten es leicht, denn der Tagesordnungspunkt 13 war in wenigen Momenten abgehandelt: „Auch hier ist eine Beratung heute nicht vorgesehen, sodass wir unmittelbar zur Abstimmung kommen ... Wer dieser Empfehlung folgen möchte, der möge die Hand aufzeigen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen und in zweiter Lesung“ (Plenarprotokoll 14/23 vom 15.03.2006 auf Seite 2411). So schnell geht das, wenn sich die Fraktionen einig sind. Die Sitzung begann übrigens nach Protokollangaben um 10.03 Uhr und endete um 17.39 Uhr. Bis zum Tagsordnungspunkt 11 werden penibel die unterschiedlichen Minuten für die Redezeiten der einzelnen Fraktionen vorgegeben. Danach heißt es zum „Beratungsverfahren“ übereinstimmend „ohne Debatte“. Die Verabschiedung des Gesetzes war außerhalb der „Kernzeit“ avisiert. Die Tagesordnung enthielt noch einen ergänzenden Hinweis: „Am Donnerstag, dem 16. März 2006, findet um 9.15 Uhr im Raum E 3 – Z 03 eine Landtagsandacht statt.“

Die „Time to Market“ (Vorbereitungszeit zur Inbetriebnahme der CO-Pipeline) dehnte sich auch noch nach den Geburtswehen. Zunächst läuft alles nach Plan. Der Startschuss für den Baubeginn der Kohlenmonoxid-Leitung fällt am 15. Februar 2007 an drei Stellen gleichzeitig: in Solingen, Langenfeld und in Duisburg-Süd. Ein halbes Jahr später wird in allen Kommunen gebuddelt. Aber dann kam von der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf im Mai 2011 das Stopp-Zeichen: Die Bezirksregierung Düsseldorf hatte sich wieder einmal als kleiner Helfer von BAYER erwiesen und einen Planfeststellungsbeschluss geliefert, der den Interessen von BAYER entsprach – aber nicht der Rechtslage. Auch für eine Pipeline muss der Antragsteller nämlich eine Erdbebensicherheit nachweisen. Und dieser Nachweis fehlte, weshalb die Pipeline nicht in Betrieb gehen durfte. Ein neues Planverfahren der Bezirksregierung Düsseldorf, mit dem es BAYER gelingt, eine Unzahl von „kleinen Fehlern“ zu korrigieren, wäre allerdings ein Freibrief für die spätere Inbetriebnahme.

Die aktuelle Situation
Ein nächster Schritt ist auf das OVG in Münster gerichtet. Dort geht es dann wieder um Grundsätzliches: Sind die Interessen des BAYER-Konzerns identisch mit dem „Allgemeinwohl“? Durfte der NRW-Landtag ausgehend von dieser Gleichsetzung Zwangsenteignungen im Trassenbereich durch das Rohrleitungsgesetz legalisieren? Wann das Gericht diese Fragen beantwortet, steht jedoch noch nicht fest.
So schnell, wie der ehemalige Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow die Wünsche von BAYER erfüllte, so groß sind nach seinem Abgang die Hoffnungen der Pipeline-Gegner, dass seine Nachfolgerin Anne Lütges Verstöße gegen die Planungsvorgaben wie zu schmale Sicherheitsmatten über der Pipeline, Schummeleien bei der Rohrqualität oder Abweichungen von der Trassenführung nicht mehr einfach so durchgewinkt. So legte das Verwaltungsgericht Stuttgart für eine Ethylen-Pipeline in Baden-Württemberg eine Distanz von mindestens 350 Metern zu Wohnhäusern fest. In Hilden nähert sich die CO-Pipeline Häusern aber bis auf 20 Meter. Bei einem Totalbruch gäbe es hier sofort 140 Tote. Hier hat BAYER nicht korrigiert. Bleiben auch noch die scharfen Bomben aus dem 2. Weltkrieg im Umfeld der Pipeline. Luftbild-Aufnahmen haben sich bei der Suche als unzuverlässig erwiesen. Trotzdem fanden sich auch ohne sichtbaren Anhaltspunkt gleich mehrere Exemplare.

Vielfältige Aktivitäten
In einem Brief an sämtliche Abgeordneten des NRW-Landtages kritisieren die Gegner der CO-Pipeline von BAYER, dass sich dieser Chemie-Konzern neue Quellen für Monopol-Gewinne aus der Herstellung von Vorprodukten wie Polycarbonat sichern will. Als weitere Einnahmequelle wünscht sich der Leverkusener Multi, dass die hochgiftige CO-Pipeline endlich in Betrieb gehen soll. Die Forderung der CO-Pipeline-Gegner an den Landtag: „Schalten Sie die CO-Pipeline 2012 politisch ab und stellen Sie Monopolen wie BAYER endlich einmal die Gegenrechnung auf.“ Dazu müsste der Landtag allerdings Entscheidungen treffen, mit denen die Giftgasleitung endgültig gestoppt wird.

Da dies eher unwahrscheinlich ist, gehen für die Initiativen der offene Protest und die Arbeit hinter den Kulissen weiter. Das Pipeline-Kataster, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf durch die Bezirksregierung und deren Umgang mit dem Planfeststellungsverfahren sowie die von der rot-grünen Koalition angekündigte Evaluierung des Rohrleitungsgesetzes stehen an.
Der Koalitionsvertrag legt fest, dass die Landesregierung bis Ende 2010 das Rohrleitungsgesetz evaluieren muss. In der Vereinbarung heißt es dazu: „Die Landesregierung überprüft bis zum 31. Dezember 2010 die Auswirkungen dieses Gesetzes und unterrichtet den Landtag. In diesem Zusammenhang wollen wir den bislang versäumten Versuch unternehmen, in Vermittlung zwischen Unternehmen und Betroffenen einen Dialogprozess und eine umfassende Problemlösung auszuloten. Dabei soll auch ein Ausbau der Produktion von Kohlenmonoxid am Standort Uerdingen geprüft werden.“ Ein Gesetzesantrag, dass die Regierungsparteien von SPD und Grünen nach diesem Prozess das Rohrleitungsgesetz von CDU und FDP aufheben wollen, ist nicht bekannt.
Dieter Donner, Pressekoordinator der Initiativen, kündigte zum Auftakt der diesjährigen Aktivitäten einen Wiederaufbau der zerstörten Dauermahnwache in Hilden an. „Damit starten wir unsere öffentlichen Kampagnen im Jahr 5 der Planfestellungsgenehmigung und empfinden Genugtuung darüber, dass auch vier Jahre nach dem ursprünglich geplanten Start des CO-Transportes durch diese Leitung noch kein Giftgas strömen konnte und durfte. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass dies so bleibt. Sicher werden die betroffenen Bürger wachsam bleiben und uns weiter unterstützen“, so Donner.