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Giftmüll

ein interessanter Artikel zur Entsorgung von Giftmüll nach Italien und Afrika in den 70er und 80er Jahren. Auch Firmen wie BASF, Bayer und Hoechst nutzten solche illegalen Deponien

25.10.2011, Donaukurier

Das schmutzige Geschäft

Ingolstadt (DK) Europäische Länder haben Jahrzehnte lang ihren Giftmüll nach Afrika gebracht oder einfach im Meer versenkt – mit Hilfe von Mafia und Geheimdiensten.

Das geht heute nicht mehr so leicht, doch immer noch landet Sondermüll oft dort, wo er nicht hingehört. Die italienische Mafia entdeckte früh, wie viel Geld sich mit Müll verdienen lässt. Europäische Unternehmen und Militärs wussten in den 60er, 70er und 80er Jahren nicht, wohin mit ihren giftigen, zum Teil radioaktiven Abfällen, und die Regierungen drückten bei der Entsorgung ein Auge zu. Hauptsache, der Problemmüll verschwand – irgendwo auf illegalen Deponien in Afrika. Dort wurde der Protest Ende der 80er Jahre aber so stark, dass das Mülltransitland Italien den Müll zurückrufen musste.

Dabei kam heraus, dass auch deutsche Unternehmen ihren Sondermüll billig über Italien entsorgt hatten: BASF, Bayer, die Dynamit Nobel AG und Hoechst zum Beispiel standen nach Medienberichten auf den Ladelisten. Die zurückgerufenen Giftmüllschiffe nahmen Kurs auf Italien. Doch dort war der Müll auch nicht erwünscht, denn es gab keinerlei Konzepte für die Lagerung. Die Mafia versenkte daraufhin offenbar viele Schiffe. Mindestens 30 liegen auf dem Grund des Mittelmeeres, schätzen Experten.

Ein italienisches Ermittlerteam machte sich daran, die Causa Giftschiffe aufzuklären. Der Hauptermittler Natale de Grazia kam allerdings 1995 unter mysteriösen Umständen ums Leben, kurz vor dem entscheidenden Durchbruch der Ermittler. Erst 2009 gingen die Giftschiffe wieder durch die Medien, nachdem ein Müllschiff in Italien ans Ufer gespült worden war. Doch wieder verlief die Suche nach den versenkten Giftschiffen im Sand, Staatsanwälte und Umweltschützer fühlten sich von den italienischen Behörden behindert.

Bis heute ist unklar, welche Rolle der italienische Staat und die europäischen Geheimdienste bei dieser Müllentsorgung spielten. Der gebürtige Heidelberger Journalist Sandro Mattioli, der mit seinem italienischen Kollegen Andrea Palladino jahrelang zur Müllmafia recherchiert hat, meint: „Es war ein weitverzweigtes Netzwerk. Ein internationales Netzwerk, bestehend aus Drecksarbeitern und Saubermännern, bis in höchste politische Ebenen vernetzt, mit Ausläufern auf dem ganzen Erdball.“

Dass Regierungen und Militärs in die illegale Müllentsorgung verwickelt waren, legt ein Chemieunfall nahe, der 1976 Schlagzeilen machte: In Seveso bei Mailand explodierte der Reaktor eines Chemiewerks der Schweizer Firma Hoffmann-La Roche, hochgiftiges Dioxin trat aus. Damals saßen verdiente Militärs in der Führungsetage des Chemieriesen. Nach dem Unglück wurde das Werk stillgelegt, die giftigen Überreste sollte später die italienische Tochter der Mannesmann AG entsorgen. Die Seveso-Giftfässer verschwanden dann aber unter dubiosen Umständen, ganz Europa fragte sich 1983 wochenlang, wo sie entsorgt worden waren. Es wird vermutet, dass die Fässer auf der ostdeutschen Deponie Schönberg landeten. Gegen Devisen nahm die ehemalige DDR so ziemlich alles an, was der Westen los werden wollte. Dass die Regierungen mitten im Kalten Krieg davon nicht wussten, ist unwahrscheinlich.

Giftmüll landete aber auch im Lieblingsurlaubsland der Deutschen. Rund 50 verseuchte Landstriche stehen auf einer Liste des Umweltministeriums in Rom. Journalist Mattioli hat ein betroffenes Dorf in Kalabrien besucht. Im idyllischen Amantea soll die Mafia Atommüll entsorgt haben, die Krebsrate ist dort nach Mattiolis Recherchen alarmierend hoch. Trotzdem wollten die meisten Einwohner den Skandal nicht wahrhaben, Umweltschützer wurden angefeindet. „Die Menschen schweigen, schweigen, schweigen, selbst wenn ihnen der Boden unter den Füßen vergiftet wird“, schreibt Mattioli in seinem Buch „Die Müllmafia“.

Seit es internationale Konventionen gibt, die den Export von Giftmüll in Nicht-OECD-Länder verbieten, hört man nur noch wenig von großen Skandalen in Afrika. „Die deutsche Entsorgungsindustrie hat gemerkt, dass sich mit der teuren Müllentsorgung in Deutschland viel mehr Geld verdienen lässt“, sagt der Giftmüllexperte Andreas von Bernstorff, der früher für Greenpeace gearbeitet hat. Dafür schickt Europa heute Elektroschrott nach Afrika und ausgediente Schiffe landen in Asien. Dort atmen Arbeiter beim Schmelzen der Stahlteile gefährliche Dämpfe ein. Europäischen Giftmüll entsorgen Kriminelle heute auch mitten im zollfreien Europa, etwa in Ostdeutschland oder Tschechien.

Von Julia Romlewski