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Bisphenol A

2. Mai 2008, Die Welt

Kanada verbietet giftige Babyflaschen

Bisphenol A ist eine umstrittene Substanz - In Europa wurde der Grenzwert zuletzt sogar erhöht

Ottawa - Herstellung, der Import oder Verkauf von Babyplastikfläschchen aus Polykarbonat, für das als Grundbaustein das umstrittene Molekül Bisphenol A (BPA) verwendet wird, soll in Kanada künftig verboten sein. Das kündigten der kanadische Gesundheitsminister Tony Clement und Umweltminister John Baird an. Damit ist Kanada weltweit das erste Land, das BPA verbietet. Möglich wurde dieser Schritt, weil die kanadische Gesundheitsbehörde BPA jetzt offiziell als "gefährliche Substanz" einstuft. Mehrere Supermarktketten im Land reagierten prompt und nahmen BPA-haltige Babyprodukte und Verpackungen aus den Regalen. Auch in den USA, so kündigte Wal-Mart an, würden diese Waren vom Markt genommen.
Die Babyplastikfläschchen sind beliebt, weil sie leichter und bruchsicherer sind als Glas. Ihr Nachteil: Beim Erwärmen oder im Kontakt mit sauren Substanzen können sich einzelne BPA-Moleküle herauslösen. Und so in den menschlichen Körper gelangen. BPA wirkt hier ähnlich wie das weibliche Geschlechtshormon Östrogen. Der Stoff steht zudem im Verdacht, Fettsucht, Diabetes, Krebs und Erbschäden zu verursachen.
Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) bescheinigt BPA "eine geringe akute Giftigkeit". Es gebe allerdings "keine Hinweise auf eine Krebs auslösende Wirkung". Die Chemikalie wird auch bei der Innenbeschichtung von Konservendosen, bei Zahnfüllungen, Verpackungen und Spielzeug verwendet.
Der kanadische Gesundheitsminister erklärte nun, nach Durchsicht von 150 Studien und eigenen Untersuchungen sei sein Ministerium zu dem Ergebnis gekommen, dass Kinder bis zu 18 Monaten am stärksten durch die Chemikalie gefährdet seien. Tierversuche hätten Verhaltensauffälligkeiten und langfristige Störungen des Nervensystems gezeigt. Zudem will die kanadische Regierung ermitteln, wie hoch die Belastung für Erwachsene ist. Dazu läuft bis 2009 eine Untersuchung. Sollten sich auch hier Risiken ergeben, würden weitere Maßnahmen getroffen.
Demgegenüber hatte die Europäische Lebensmittelbehörde Efsa im vergangenen Jahr die Grenzwerte für BPA in Lebensmittelverpackungen auf das Fünffache heraufgesetzt. Bis dato sollte ein Mensch täglich höchstens zehn Mikrogramm BPA pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen, inzwischen dürfen es 50 Mikrogramm sein. Die Efsa stützte sich bei ihrer Entscheidung vor allem auf eine neue Zwei-Generationen-Studie an Ratten, die jedoch nach Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" von der Industrie finanziert wurde und bislang nicht publiziert ist. Welchen Einfluss der Geldgeber auf das Studienergebnis hat, führte kürzlich der Toxikologe Frederick vom Saal von der University of Missouri vor: Von 163 Studien, die bis November 2006 veröffentlicht waren, wiesen 138 der 152 öffentlich finanzierten Arbeiten auf gesundheitliche Schäden hin. Die elf industriell gesponserten fanden keine negativen Wirkungen. Die Efsa hält viele BPA-Wirkungen, die sich bei Tieren ergeben, für unerheblich: zum Beispiel wenn sich das Gewicht einzelner Organe geringfügig ändert, wenn Hormonhaushalt oder Gewebeaufbau abweichen oder sich der Zeitpunkt der Geschlechtsreife verschiebt. Es sei nicht klar, so die Efsa, ob so etwas tatsächlich schade.
Auch das BfR sah in seiner letzten Stellungnahme zu BPA "für Säuglinge und Kleinkinder aus der üblichen Verwendung von Polykarbonatflaschen kein gesundheitliches Risiko". Das BfR hielt es deshalb bislang "nicht für erforderlich, auf Babyfläschchen aus Polykarbonat zu verzichten". Wer verunsichert sei, soll "auf Trinkflaschen aus Glas ausweichen". Ein BPA-Verbot könne das Amt ohnehin nicht aussprechen, weil "die Verwendung der Substanz auf europäischer Ebene geregelt" sei. Ob das BfR jetzt eine Neubewertung von BPA vornehmen wird, konnte Sprecherin Ariane Girndt nicht sagen: "Wenn wir die Daten aus Kanada haben, sehen wir weiter."
Auch in den USA könnte es demnächst zu strengeren Regeln kommen: Jüngst veröffentlichte das "National Toxicology Program" (NTP) einen Bericht über BPA, der die Substanz als Risiko für den Verbraucher bewertet. Die Einschätzung des NTP ist deshalb von Bedeutung, weil sie an die FDA weitergereicht wird. US-Forscher hatten Urinproben von 2500 Personen untersucht und bei 92 Prozent der Proben messbare Mengen von BPA gefunden. Die Konzentration war deutlich höher als jene, die in Tierversuchen bereits zu Krankheiten und Geburtsschäden geführt hatte.
Das Umweltbundesamt fordert seit Jahren ein BPA-Verbot für Verpackungen und Kinderprodukte. Professor Jürgen Rochlitz, Beiratsmitglied der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG), appelliert: "BPA und andere hormonartige Substanzen haben in Produkten des täglichen Bedarfs absolut nichts verloren." CBG-Vorstandsmitglied Philipp Mimkes ergänzt: "Es ist ein Skandal, dass Bayer, Dow und Co. die Risiken von BPA jahrzehntelang heruntergespielt haben. Deutsche und europäische Behörden müssen endlich reagieren." (Von Birgitta Vom Lehn)

siehe auch: Bisphenol A - „Risikoreiche Anwendungen verbieten!“