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BAYER Hauptversammlung 2008

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Sehr geehrter Aufsichtsrat und Vorstand,

mein Name ist Andrea Will. Ich bin Mitglied des Parteivorstandes der Deutschen Kommunistischen Partei und ich spreche hier auf Einladung der Kritischen Aktionäre.
Ich stehe hier nicht zum erstenmal und habe auch nicht zum erstenmal Fragen bezüglich der Geschäftspraktiken des Bayer-Vorstandes. Was sich der Vorstandsvorsitzende allerdings gestern, bei der Bilanzpressekonferenz, geleistet hat, ist ein Skandal erster Güte.

Ich zitiere aus den Presseinformationen zum 1. Quartalsbericht 2008: "Besonders erfolgreich verlief das Geschäft von Bayer CropScience im 1. Quartal. Sie, Herr Wenning, erklärten: ,Wir konnten an der positiven Entwicklung der Welt-Agrarmärkte partizipieren.' Der Teilkonzern steigerte seinen Umsatz deutlich um 10,8 Prozent von 1,786 auf 1,978 Milliarden Euro, was währungs- und portfoliobereinigt einem Anstieg um 14,8 Prozent entspricht. Im klassischen Pflanzenschutz (Crop Protection) lag der Umsatz mit 1,622 Milliarden Euro um 13,1 Prozent über Vorjahr. Währungsbereinigt betrug die Steigerung sogar 17,8 Prozent, wobei sich das Geschäft mit Herbiziden und Fungiziden besonders erfreulich entwickelte. Wachstumsträger waren vor allem die jungen Produkte. Der Umsatz der Wirkstoffe, die seit dem Jahr 2000 in Kernmärkten eingeführt wurden, erhöhte sich im 1. Quartal um rund 40 Prozent auf mehr als 600 Millionen Euro." Zitat Ende.
Ich frage Sie, Herr Wenning: Ist die Entwicklung der letzten Wochen tatsächlich an Ihnen vorbeigegangen? Haben Sie nichts von den Pressemeldungen über Hungeraufstände und die Hungertoten in zahlreichen Ländern Südamerikas, Afrikas und Asiens mitbekommen? Wie können Sie angesichts der massiven Verteuerung der Grundnahrungsmittel, angesichts des buchstäblichen Verhungerns von Millionen Menschen von einer "positiven Entwicklung der Agrarmärkte" sprechen?

Das ist entweder unglaublich naiv – und dafür halte ich Sie nicht - oder gnadenlos zynisch. Was auch immer, Sie sind als Vorstandsvorsitzender der Bayer AG nicht mehr tragbar. Ich fordere Sie auf, umgehend zurückzutreten.

Die übrigen Herren und Dame Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats frage ich: Sind ihnen die Mechanismen des Weltagrarmarktes unbekannt?
Nehmen Sie das Beispiel Haiti. Dort essen die Menschen Lehm, weil Sie sich Reis nicht mehr leisten können.
Und das kam so: Noch vor 20 Jahren besaß Haiti eine funktionierende Landwirtschaft. Doch dann kam die Weltbank und verlangte von der Regierung, dass US-amerikanische Agrarprodukte ins Land gelassen werden sollten. Die Regierung gab dieser Forderung nach. Aufgrund der industrialisierten und hoch subventionierten Produktion in den USA überschwemmten nun billige Nahrungsmittel den haitianischen Markt. Die einheimischen Bauern gingen pleite, verließen ihre Felder und gingen in die Stadt, wo US-amerikanische Firmen inzwischen mit billigen Krediten der Weltbank Textil- und Schuhfabriken gebaut hatten, in denen die ehemaligen Bauern gerade soviel verdienten, dass sie sich die billigen Nahrungsmittel aus den USA leisten konnten. Als sich jedoch z. B. der Reispreis innerhalb eines Jahres verdoppelte, war damit Schluss. Und deshalb essen die Menschen in Haiti Lehm, um überhaupt etwas im Magen zu haben.

Wenn Sie jetzt sagen, das sei weit weg und damit haben wir nichts zu tun, Herr Wenning, frage ich sie zweierlei. Ist Bayer nicht ein Weltkonzern, der auch auf dem US- und südamerikanischen Markt tätig ist? Und zweitens: läuft dieser Prozess nicht zwischen Europa und Afrika genau so? Ist es nicht so, dass die G7-Staaten ihre Landwirtschaft mit mindestens einer Milliarde Dollar täglich unterstützen, und dass deshalb die Landwirtschaft in Afrika völlig am Boden liegt? Weswegen übrigens die ehemaligen Bauern der Sahelzone, die noch die Kraft haben, unter Lebensgefahr auf allem was schwimmt versuchen nach Europa zu gelangen Dort arbeiten sie dann z. B. in den Gewächshäusern von Almeria, wo sie unter menschenunwürdigen Bedingungen das Gemüse produzieren, das den afrikanischen Markt überschwemmt und schon ihnen die Lebensgrundlage genommen hat.
Und da sprechen Sie, Herr Wenning, davon, dass Bayer an der erfolgreichen Entwicklung des Agrarmarktes partizipieren konnte!
Sie partizipieren nicht nur, Sie sind mittendrin. Den einen Bauern in den armen Länder nimmt Ihr Agrarmarkt die Existenz, die anderen machen Sie mit ihren Produkten von sich abhängig. Oder stimmt es nicht, dass Ihre Pestizide, Fungizide und Herbizide auf Dauer jedes pflanzliche Leben zerstören, außer das der gentechnisch veränderten Pflanzen, die sie selbst in Großversuchen nach und nach heranziehen?

Dem südamerikanischen oder indischen Bauern, der Erleichterung beim Unkrautjäten und Schutz vor Schädlingsbefall sucht, dem verkaufen Sie dann das genveränderte Saatgut und ihre chemischen Keulen, bis seine Produktion vollkommen davon abhängig ist. Und dann erhöhen Sie die Preise und erzählen bei der Bilanzpressekonferenz, wie erfolgreich Sie sind und wie erfreulich sich der Weltagrarmarkt entwickelt.

Kennen Sie Jean Ziegler, den UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung? Der hat über diese Praktiken gesagt: "Die Weltlandwirtschaft könnte problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren. Das heißt, ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet."
Und diese toten Kinder sind nicht wenige. Derselbe Ziegler sagt: "Heute stirbt ... alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren an Hunger oder an mit Unterernährung verknüpften Krankheiten. Im Jahr 2005 hat der Hunger mehr Menschen getötet als alle in diesem Jahr geführten Kriege zusammen." Und vergessen wir nicht: Seitdem haben sich die Weltagrarmärkte wahrlich "erfolgreich" entwickelt. Vielleicht stirbt daran heute schon alle drei Sekunden ein Kind? Aber immerhin eilt die Bayer AG unter ihrer Führung, Herr Wenning, von Erfolg zu Erfolg.

Doch diese Art von Erfolg um jeden Preis muss ein Ende haben. Ich fordere Sie angesichts ihrer skandalösen Geschäftspolitik auf zurückzutreten. Sie alle, die Aktionärinnen und Aktionäre bitte ich eindringlich, diesen Vorstand zur Verantwortung zu ziehen und abzuwählen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.