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STICHWORT BAYER 01/2007

BAYER schmierte irakische Behörden

Der „Global Compact of Corruption“

Das „Öl für Lebensmittel“-Programm der Vereinten Nationen, das die Basis-Versorgung der irakischen Bevölkerung während der Sanktionen sicherstellen sollte, war für BAYER & Co. ein „Global Compact of Corruption“. Allein der Leverkusener Multi legte für seine Geschäfte mit Pestiziden und Tier-Arzneien 555.000 Dollar an Schmiergeldern drauf, wie ein UN-Untersuchungsbericht dokumentiert.

Von Jan Pehrke

„After-Sales-Service Fees“ - nach dem Verkauf anfallende Service-Gebühren - so lautete die Umschreibung für die an den Irak geflossenen Schmiergelder in den offiziellen Dokumenten des „Öl für Lebensmittel“-Programms der Vereinten Nationen. Nach dem unter Federführung von Paul Volcker entstandenen Untersuchungsbericht zahlte BAYER für seine sechs Millionen Dollar schweren Lieferungen von Pestiziden und Tierarzneien insgesamt 555.000 Dollar an „Service-Gebühren“. 2.200 der 4.500 im Rahmen von „Öl für Lebensmittel“ mit dem Irak Handel treibenden Unternehmen taten es dem Pharma-Riesen gleich; 1,8 Milliarden Dollar Schwarzgeld kam so zusammen.

Die inkriminierten Firmen haben gegen die völkerrechtlich bindenden Embargo-Beschlüsse verstoßen. Deshalb haben hierzulande zwei Dutzend Staatsanwaltschaften bereits Ermittlungen gegen rund vierzig der insgesamt 75 an den krummen Geschäften beteiligten bundesdeutschen Unternehmen eingeleitet, darunter SIEMENS, DAIMLERCHRYSLER und LINDE. Vier Verfahren wegen Vorstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz haben die RichterInnen bereits eingestellt. Der jetzt zu BAYER gehörende SCHERING-Konzern und die anderen Firmen mussten es nur dem DEUTSCHE-BANK-Chef Josef Ackermann gleichtun und ein paar Peanuts aus der Portokasse löhnen. Der Leverkusener Multi kann sich diesen Griff vorerst sparen. Er hat die Deals nämlich über seine türkische Niederlassung abgewickelt, und die Justiz beschäftigt sich nur mit Gesetzesverstößen, die von deutschem Boden ausgingen.

Für BAYER gehören solche Praktiken zum „Business as usual“. Der Konzern hat in der Vergangenheit bereits iranischen und italienischen Behörden Bestechungsgelder gezahlt, um Bauvorhaben realisieren oder andere Unternehmensziele verfolgen zu können (siehe Ticker 3/03). In der - berechtigten - Hoffnung, das Verschreibungsverhalten von MedizinerInnen zu ändern, hat er zudem den „Halbgöttern in Weiß“ mehr als nur halb-göttliche Summen zukommen lassen. Darüber hinaus schreckte der Multi vor Geschäftsbeziehungen mit Diktaturen nie zurück. Er trieb in der Vergangenheit nicht bloß lebhaften Handel mit dem südafrikanischen Apartheidsregime und den autoritären Regierungen Südamerikas, sondern auch mit dem Irak. So hob noch auf dem deutsch-irakischen Wirtschaftskongress Anfang 2004 ein Wirtschaftspolitiker die traditionell guten Beziehungen des Landes zur bundesdeutschen Chemie-Industrie hervor. Ob Bayer Saddam Hussein jedoch ab 1999 mit dem „500.000-Dollar-Surplus“ das Diktatoren-Leben noch ein wenig lebenswerter machte, bleibt zweifelhaft.

Es ist nämlich die Frage, ob der Alleinherrscher das Geld in die eigene Tasche steckte oder ob es vielmehr dazu diente, den Zusammenbruch des öffentlichen Lebens im unter den Sanktionen leidenden Irak zu verhindern. Der Volcker-Report macht keine verlässlichen Aussagen dazu, er referiert lediglich die sich widersprechenden Aussagen irakischer Offizieller. Der frühere Handelsminister Saleh gab an, die irakische Zentralbank CBI hielt die 1,8 Milliarden als Bargeldreserve. Dem Bankdirektor Isam Rashid Al-Huwaysh zufolge belief sich diese jedoch nur auf 10 bis 15 Millionen Dollar. Nach Kenntnis des früheren Finanzminister floss das Geld hauptsächlich Husseins „Kanzleramt“ und den einzelnen Ministerien zu, wobei besonders solche profitierten, die vom „Öl für Lebensmittel“-Programm ausgenommen waren wie das Verteidigungsministerium und der Geheimdienst. Zudem erhielten Botschaften im Ausland Überweisungen, um das Studium junger IrakerInnen weiterhin finanzieren zu können. Andere wiederum berichteten den UN-ErmittlerInnen, Husseins Sohn Qusay sei mit einem Scheck von Papa bei der Bank aufgetaucht und habe eine Millarde Dollar, verpackt in 200 kleine Boxen, mitgenommen. Aber selbst wenn dies verbürgt wäre, ist nicht klar, inwieweit Qusay sich auch bei den „Service-Gebühren“ bediente.

Ein einheitliches Bild ergibt der Untersuchungsbericht also nicht. Obwohl dem Diktator sicherlich alles zuzutrauen ist, erscheint es deshalb wahrscheinlicher, dass er die 1,8 Milliarden aus Gründen der Staatsräson halbwegs sinnvoll eingesetzt hat - schon allein, weil ein Kollaps des Iraks auch seinen Sturz nach sich gezogen hätte. Und allzuweit vom Kollaps entfernt stand das Land nicht - und sollte es nach dem Willen der USA und Großbritanniens auch nicht. Der 1990 von Hussein gegen Kuweit begonnene Krieg endete mit einer Niederlage und hinterließ den Irak in einem desaströsen Zustand. Die 1991 von den Vereinten Nationen beschlossenen Sanktionen spitzten die Lage noch zu, indem sie den Staat vom Welthandel abschnitten und so einen Wiederaufbau verhinderten, was auch Sinn der Übung war. Um wenigstens die Basis-Versorgung der Bevölkerung zu sichern, legten die UN 1996 das „Öl für Lebensmittel“-Programm auf, das die USA mit allen Mitteln zu verhindern suchte. Was die Vereinigten Staaten mit dem Irak vorhatten, war „das von Saddam Hussein geführte Regime stürzen und die Bildung einer demokratisch geführten Regierung zu fördern“, wie es im 1998 vom Kongress verabschiedeten „Iraq Liberation Act“ hieß. Das Land ernannte mit Frank Ricciardone sogar schon einen Koordinator für den Machtwechsel im Irak.

Das „Öl für Lebensmittel“-Programm erlaubte dem Land Öl-Exporte in einem bestimmten Umfang. Die Erträge landeten auf einem von der UN überwachten Konto und durften nur für den Kauf der allernotwendigsten Güter wie Lebensmittel und Medikamente verwendet werden. Zudem hatte das Land aus dem Topf Reparationen an Kuweit zu zahlen, die Kosten für die Waffen-Inspektionen zu begleichen und 13 Prozent an die kurdische Autonomie-Regierung zu transferieren. Diese führte ihr „Öl für Lebensmittel“-Programm in eigener Regie durch und tat es weit besser, wie einige mit Blick auf die dortige Versorgungslage meinen, was jedoch mehr mit der besonderen Lage im Kurdengebiet als mit den abgezweigten „After-Sales-Service Fees“ zu tun haben dürfte.

Außerhalb dieser Naturalwirtschaft hatte der Staat keinerlei Außenhandelseinnahmen. Trotzdem sabotierten die USA und Großbritannien die „Tauschbörse“ noch nach Kräften. Der Irak musste sich alle Transaktionen bewilligen lassen und erhielt längst nicht immer das OK. 20 Prozent der Anträge lehnten die DelegiertInnen der im Sicherheitsrat vertretenen Nationen ab. Aus diesem Grund konnte das Land dringende Infrastruktur-Investitionen in den Bereichen Energie, Telekommunikation und Wasserversorgung nicht vornehmen, weshalb der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan Bill Clinton vorwarf, die humanitären Bemühungen zu hintertreiben.

So fanden nach Angaben des UN-Koordinators für humanitäre Hilfe, Hans Christoph Graf von Sponeck, während des Embargos trotz „Öl für Lebensmittel“ 500.000 Kinder wegen des verschmutzten Wassers, fehlender Arzneien oder der Lebensmittel-Knappheit den Tod. „1991 starben 56 von 1.000 Kindern bis zum Alter von fünf Jahren. Heute, zehn Jahre später, ist die Zahl nach Angaben der UNICEF auf 131 von 1.000 Kindern gestiegen (...) Daher gibt es ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, und können wir uns erlauben, kann sich irgend jemand erlauben, sich mit solch einer Realität abzufinden? ich kann es nicht“, sagte der Diplomat und trat von seinem Posten zurück. Schon seit Vorgänger Denis Halliway hatte vorzeitig das Handtuch geworfen, weil er das von ihm als „Genozid“ an der irakischen Bevölkerung bezeichnete Sanktionsregime nicht länger mittragen wollte.

Diese verzweifelte Lage zwang den Staat, sich andere Einnahmequellen zu erschließen. „Das UN-Hilfsprogramm hatte keine ‚Cash-Komponente‘ für die irakische Regierung, das heißt, sie erhielt für den Verkauf des irakischen Öls kein Geld, sondern Güter (...) Gleichzeitig brauchte die irakische Regierung aber Gelder zur Finanzierung grundlegender, normaler Dinge: Die Staatsbediensteten, Ärzte, Lehrer, Fahrer und so weiter, sie alle mussten bezahlt werden, wie in jedem anderen Land auch. Bei der ganzen Debatten über ‚Schmiergelder für Saddam‘ wird ausgeblendet, dass ein Großteil der Mittel wahrscheinlich genau dafür verwendet wurde - weil die Regierung gar keine andere Wahl hatte“, sagte die US-amerikanische Philosophie-Dozentin Joy Gordon, die ein Buch über die Sanktionspolitik geschrieben hat, in einem Interview mit der Jungen Welt.

Die „After-Sales-Service Fees“ stellten dabei noch nicht einmal die bedeutenste „Versorgungstelle“ dar. Ihre Skandalisierung hat auch sehr viel mit der in den USA weit verbreiteten Skepsis gegenüber der UN zu tun, die durch die Bestechungsgelder neue Nahrung erhielt. Als viel ertragreicher erwies sich der Öl-Schmuggel in die Türkei und nach Jordanien. Ca. 10 Milliarden Dollar brachte er ein. Nach Ansicht der CIA haben diese illegalen Lieferungen vor dem Anlaufen des „Öl für Lebensmittel“-Programms „das finanzielle Überleben des Regimes gesichert“. Auch danach noch gingen sie bis 2003 weiter, und die USA taten nichts, sie zu unterbinden, handelte es sich bei den Abnehmern des schwarzen schwarzen Goldes doch um Verbündete des Landes.

Im Jahr 2003 änderten die Vereinigten Staaten ihre „regime-change“-Strategie und ließen den mit den Sanktionen begonnenen Kalten Krieg in einen heißen münden, um ihre imperialen Interessen zu verfolgen, was noch weit verheerendere Auswirkungen hatte. „Menschenrechte“ und „Demokratie“ dienten dabei nur als Vorwand. Wäre es anders gewesen, könnte man wirklich das moralische Problem erörtern, das die Irak-Politik der „Völkergemeinschaft“ aufwarf: Wie schafft man es, die irakische Bevölkerung zu unterstützen, ohne zugleich Saddam Hussein zu unterstützen? Aber diese Frage stellte sich weder die USA noch BAYER oder irgendein anderer der politischen AkteurInnen, weshalb sie rein hypothetisch bleibt.