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Verbrennung Hexachlorbenzol

WAZ, 13. Januar 2007

AUSTRALISCHER SONDERMULL: "Gefahr kann man nicht einschätzen"

Teils resigniert, teils kämpferisch gaben sich die Bürger, die am WAZRedaktionsmobil über die geplante Verbrennung von australischem Sondermüll im Rohstoff-Rückgewinnungszentrum diskutierten. Geschäftsführer Hans Moll und Sprecher Heinz Struszcynski stellten sich den Lesern am Freitag zum Gespräch. Bürgermeister Dr. Uli Paetzel, auch eingeladen, kam nicht, schickte aber eine Stellungnahme."Wir finden das katastrophal, dass hier Giftmüll aus Australien verbrannt wird. Trotz der Hochtechnologie im RZR. Bei Transrapid und Seveso hieß es auch, dass nichts passieren sein kann. So sicher kann Technik, die von Menschen bedient wird, gar nicht sein. Ganz zu schweigen vom Transportrisiko per Schiff."
Erika Wycisk (70) ist zielstrebig auf das WAZ-Redaktionsmobil zugeeilt, um ihre Meinung kundzutun. Sie hatte gelesen, dass die WAZ zur Diskussion um die Sondermüllverbrennung einlädt und will etwas tun, statt nur zu klagen.
Ute Orlowski (58) ist richtig schockiert. "Man kann das ja gar nicht nachvollziehen, wie schädlich das wirklich ist. Ich wohne schon seit 20 Jahren im Hertener Süden, nicht weit vom RZR, und in unserer Straße sind in den letzten 15 Jahren extrem viele Menschen an Krebs gestorben. Das gibt mir zu denken."
Elke Münich (45): "Mich beunruhigt vor allem, dass die Gefahr für den Laien nicht einschätzbar ist. Den Vergleich des Giftmülls (behördlich korrekt "gefährlicher Abfall", die Red.) Hexachlorbenzol mit Urinsteinen halte ich für verharmlosend, wenn auch vielleicht chemisch treffend. Dass der Anspruch, optimale Sicherheit für den Verbraucher zu liefern, immer erfüllt wird, bezweifle ich." Davon bringt sie auch das Argument von AGR-Sprecher Heinz Struszcsinsky nicht ab: "Selbst in Fernsehern muss Brom verwendet werden, und wer Gift vermeiden will, muss dann auch aufs Fernsehen verzichten."
Adrian Gülden (53) empfängt zwar lieber Gäste aus Australien in seinem Hotel als den HCB-Müll aus Australien in seiner Stadt. "Aber mir ist es lieber, der Müll wird ordnungsgemäß hier verbrannt, als dass das Gift irgendwo ins Meer gekippt wird. Den Transport um die halbe Welt halte ich aber für wenig sinnvoll."
Joachim Jürgens (62), Bürgerinitiativler der ersten Stunde, und Mitbegründer von Pro-Herten: "Mir geht es nicht in erster Linie um den spektakulären Australien-Fall. Man muss bedenken, was hier alles zusammenwirkt. Da sind Luftverschmutzungen von der Steag in Herne, vom RZR, von den vielen Lkw, die anliefern, von den Autobahnkreuzen. Das zeigt keine Messung am RZR- Schornstein. Aber mit dieser Mischung müssen die Menschen hier leben." Sein Mitstreiter Hans-Heinrich Holland (59) sieht das ähnlich: "Die Gesamtbelastung hier ist einfach zu groß."
Heinz Friedrich (66): "Wir haben doch genug Umweltdreck hier - was brauchen wir da noch zusätzlichen aus dem Ausland? Das ist Geldmacherei, bei der aber nur die Dicken kassieren und sonst keiner. In die Anlage des RZR habe ich aber Vertrauen; ich habe mir das schon angeguckt. Da wird ne Menge gemacht."
Marion Ballmann-Söchtig (44): "Ich bin beunruhigt. Wir haben ja auch Kinder in der Stadt. Und man weiß ja nicht, was da alles durch die Schornsteine geht. Wir sind schon ausreichend belastet. Man kann es auch so sehen: Es kurbelt die Wirtschaft an. Für mich überwiegt aber der Gesundheitsaspekt."
Winfried Waiden (61): "Mehr Transparenz von allen Verantwortlichen wünsche ich mir. Ich will wissen, was da überhaupt passiert, welche Gifte abgeblasen werden. Wie ausgereift ist die Technik? Ich bin besonders sensibilisiert, weil ich jahrelang an der Halde joggen war und vor kurzem an Stimmbandkrebs erkrankt bin. Mich würde deshalb auch mal eine Studie interessieren, die darüber informiert, ob es bei Menschen, die in der Nähe des RZR leben, mehr Atemwegserkrankungen gibt als bei anderen."
Gerhard Majer (68): "Ich bin eigentlich gegen die Verbrennung des Giftmülls, weil ich gar nicht weiß, welche Gefahren das birgt. Ich bin mir nicht sicher, ob die nötigen Temperaturen überhaupt erreicht werden."
Gudrun Dymke (62): "Das ist eine Schweinerei. Australien ist so ein großes Land, die sollten sich selbst Voraussetzungen schaffen, um den Abfall loszuwerden. Selbst wenn solche Aufträge gut für die Arbeitsplätze sind - hier stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht. Dafür können wir keine Gesundheitsschäden hinnehmen."
Dieter Dymke (69): "Man kann nur hoffen, das es keinen technischen Defekt gibt. Dann ist es zu spät und alle Politiker sagen wieder: ,Das haben wir nicht gewollt', ,das haben wir nicht gewusst'."

10. Januar 2007 |Recklinghäuser Zeitung

Kein grünes Licht für Giftmüll

Herten. (mw) Die AGR hat noch gar keine Genehmigung, Giftmüll aus Australien im Hertener RZR zu verbrennen. -

Das bestätigte die Sprecherin der Bezirksregierung Münster, Sigrun Rittrich, auf Anfrage unserer Zeitung. Die Behörde widersprach damit der Behauptung der Essener Entsorgungsgesellschaft, Münster habe "grünes Licht" für den Entsorgungsauftrag aus Sydney gegeben. Weder gebe es eine Genehmigung für den Import von 5000 Tonnen hexachlorbenzolhaltiger Abfälle, betonte die Sprecherin, noch sei abschließend geprüft, ob die Hertener Sondermüllverbrennungsanlage die Voraussetzungen für die Beseitigung dieser Abfälle überhaupt erfülle.
Der Regionalverband Ruhr (RVR), "Mutter" der AGR, soll den Giftmüll-Tourismus stoppen, fordert die Linke in der RVR-Verbandsversammlung. Giftmüll über Ozeane zu schippern sei "umweltpolitischer Irrsinn", meint Fraktionssprecher Wolfgang Freye.
Der Abfall-Transport nach Herten ist mittlerweile auch Medienthema in Sydney. Der australische Grünen-Abgeordnete Ian Cohen habe zudem eine offizielle Anfrage im Parlament eingereicht, berichtet die Kreistagsfraktion der Grünen in Recklinghausen.

NRZ, 10.01.2007

Krach um australischen Giftmüll

NRW. In Herten, Dormagen und Leverkusen sollen 17 000 Tonnen gefährliche Chemieabfälle verbrannt werden. Umweltschützer, Grüne und PDS protestieren. Ministerium: Noch ist nichts genehmigt.
ESSEN/HERTEN. Ein brisanter Fall von geplantem Müll-Tourismus ins Ruhrgebiet ruft Naturschützer und NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) auf den Plan. Die kommunale Abfallbeseitigungsgesellschaft Ruhr (AGR) will 5000 Tonnen des weltweit verboten, schwer giftigen Stoffs Hexachlorbenzol (HCB) aus Australien in ihrer Anlage in Herten verbrennen.
Der Abfall stammt von der Firma Orica, dem größten Chemiekonzern auf dem fünften Kontinent. Das Unternehmen will mangels geeigneter Entorgungsbetriebe in "down under" bis 2008 rund 22 000 Tonnen in Deutschland loswerden - in Brunsbüttel, Leverkusen, Dormagen und Herten. Für die AGR laut Unternehmenssprecher Heinz Struszczynski ein "ganz normales Geschäft - dafür halten wir schließlich Kapazitäten für Sondermüll vor".
Grüne und Die Linke.PDS laufen unterdessen Sturm gegen das geplante Geschäft, das der finanzschwachen AGR nach NRZ-Informationen bis zu drei Millionen Euro einbringen kann. "Ich bin empört darüber, dass die AGR als regionaler Abfallentsorger Geschäfte mit Müll von der anderen Seite der Erdkugel machen will", sagte Wolfgang Freye, Fraktionssprecher der Linken im Regionalverband Ruhrgebiet (RVR) gestern der NRZ. RVR-Direktor, Heinz-Dieter Klink (SPD) räumte auf NRZ-Anfrage ein, dass er "gezuckt" habe, als ihm der Plan zu Ohren gekommen sei. Man frage sich dann immer, warum "wieder das Ruhrgebiet das Geschäft mit dem Dreck macht". Andererseits spreche es für die "Qualität" deutscher Entsorgungstechnik, wenn ein internationaler Konzern die AGR beauftrage. Aus Sicht der Grünen eine bedenkliche Haltung. "Die AGR darf sich nicht weltweit als Hochsicherheitsklo für Risiko-Müll vermarkten", sagte Johannes Remmel, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Landtag der NRZ. Zumal die Anlage in Herten laut Bund für Umwelt und Naturschutz nicht die für Hexachlorbenzol nötige Verbrennungstemperatur von 1100° Celsius erreiche. Eine These, die die AGR zurückweist: "Unsinn!" Ob es tatsächlich zu dem Müll-Deal kommen wird, ist offen. Eine Sprecherin von NRW-Umweltschutzminister Uhlenberg bestritt gestern die AGR-Aussage, wonach das Geschäft genehmigt sei: "Falsch, die zuständige Bezirksregierung hat noch nicht alle nötigen Unterlagen von den Australiern. Liegen sie vor, wird intensiv geprüft. Ob genehmigt wird, ist längst nicht klar. Wir nehmen die Bedenken von Bürgern und Umweltschutzverbänden ernst."

WAZ, 09.01.2007

Giftmüll aus Australien: Das stinkt

Kommentar on Jürgen Polzin

Giftmüll gibt es eigentlich gar nicht. Im Abfallrecht jedenfalls nicht. Dort heißt er Sonderabfall und bezeichnet besonders überwachungsbedürftige Restmengen, die umwelt- oder gesundheitsgefährdend sind. Doch Giftmüll ist nicht nur eine gefährliche Fracht, sondern leider auch Wirtschaftsware. Was in der Gosse der Industrieländer landet, muss durch Verbrennung wieder aus der Welt geschafft werden. Nicht jeder Verursacher verfügt über die Technologie zur Entsorgung. Nicht jeder geht diesen teuren Weg, was unlängst die Menschen der Elfenbeinküste am eigenen Leib erfahren mussten, als ihnen illegal Giftmüll aus Europa vor die Tür gekippt wurde.

In Herten sollen nun tausende Tonnen Müll aus Australien verbrannt werden, die mit Hexachlorbenzol belastet sein sollen. Ein Vorgang, der Fragen aufwirft. Darf man mit dem Risiko, einen langlebigen, hochgiftigen Schadstoff, der mit dem "Dreckigen Dutzend" längst weltweit verboten ist, über die Meere zu schippern, am anderen Ende der Welt Geld verdienen? In einer Anlage, die Bürger durch Müllgebühren mitfinanziert haben? Das stinkt zum Himmel.

WAZ, 28.12.2006

Den meisten stinkt' s

Giftmüll in Herten - das treibt die Stadt um. Seit bekannt wurde, dass im RZR Sondermüll in Form von Hexachlorbenzol (HCB) aus Australien entsorgt werden soll, schlagen die Wellen hoch. „Das soll doch wohl nur der Türöffner für die ganz großen Giftfuhren aus aller Welt' sein", mutmaßt Horst Urban, Fraktionsvorsitzender der Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWG). Als „große Sauerei" bezeichnet Grünen-Vorsitzender Dieter Kullik den Vorgang. „Allein die Energiekosten sind der reine Wahnsinn", sagt er und fragt: „Was passiert, wenn der Lkw einen Unfall hat?"
Fragen, auf die es gestern bei der AGR keine Antwort gab. Zwischen den Feiertagen seien Ansprechpartner kaum zu bekommen, man berief sich auf den Artikel im hausinternen Magazin „Blickkontakt" - da stehe alles drin. Etwa folgendes: „Für eine der letzten großen HCB-Altlasten weltweit gibt es doch noch ein gutes Ende."
Nichts Gutes kann Tobias Köller von der Unabhängigen Bürgerpartei (UPB) finden: „Wir haben doch schon großen Krach mit der Biogas-Anlage - und jetzt das." Dadurch gelange Herten zu einer Berühmtheit, die „eher nicht so schön" sei. Um das zu verhindern, setzt Köller auf Druck von außen: „Wir haben als Stadt schon einen gewissen Einfluss auf die AGR, weil wir als Stadtwerke in deren Gremien vertreten sind." Anders sieht das Carsten Locker, Fraktionsvorsitzender der SPD: „Wir können das nicht verhindern." Er gehe davon aus, dass der Vertrag „sauber ist und die Anlage das kann." Gleichwohl müsse man fragen, ob es wirklich nötig sei, Sondermüll um die halbe Welt zu transportieren. Und Joachim Jürgens von Pro Herten geht noch einen Schritt weiter: „Fest steht, dass die EU die Entsorgung von giftigen Abfällen außerhalb der EU-Grenzen verbietet." Keine Stellungnahme hat bislang die CDU-Fraktion abgegeben. Man sei noch dabei, Daten und Fakten, etwa von Umwelteinrichtungen, zusammenzutragen!

23.12.2006

Leserbrief zum Artikel "Giftmüll aus Australien landet jetzt im RZR"

Pfr. Bernhard Stahl

Man muss sich schon verwundert die Augen reiben, was den Hertener Bürgern da pünktlich zu Weihnachten zugemutet wird:
Giftmüll der hochgefährlichsten Sorte soll in Herten-Süd verbrannt werden.
Hexachlorbenzol gehört zu den "dirty dozen", dem dreckigen Dutzend der bekannten zwölf organischen Giftstoffe, die durch die Stockholmer Konvention 2001 international verboten sind. Davon sollen also 5.000 Tonnen (!) in Herten-Süd verbrannt werden! Ein Lehrstück zum Thema "Folgen der globalisierten Wirtschaft", das uns direkt vor Ort betrifft.
Der Verdacht regt sich: Da ist eine Menge Geld im Spiel.

Ernste Fragen müssen an das RZR, bzw. die AGR gestellt werden:
1. Sind die Sicherheitsstandards bei einem derart aufwendigen Transport um den halben Globus wirklich gewährleistet?

2. Welche Rückstände sind bei der Verbrennung der Altlasten zu erwarten und welche Gefahren gehen davon für Menschen und Natur hier in Herten und in der Ferne aus?
Werden die 5000 Tonnen HCB hier in Herten wirklich restlos "geknackt"?

3. Für Herten als Stadt ergeben sich die Fragen: Was bedeutet eine Entsorgungsmaßnahme von solchen Ausmaßen für das Image der Stadt? Werden dadurch nicht die vielen Bemühungen auch Ehrenamtlicher um die Aufbesserung des Standorts Herten (z.B. Stadtumbau West) in Frage gestellt ?
4. Schließlich: Welche Signalwirkung geht von der geplanten Entsorgung für die Zukunft aus oder anders gefragt, was wird da noch kommen?!

Ich befürchte, diese Entsorgungsaktion der besonderen Art wird Herten in der nächsten Zeit noch intensiv beschäftigen!