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Frankfurter Rundschau, 13. Juli 1995

In seiner Ökoperspektive blendet der Chemieriese Bayer ein paar Szenen aus

Kritiker beklagen Versäumnisse beim Umweltschutz/ Vor allem Auslandsaktivitäten am Pranger/ Selbstverpflichtung steht gegen politischen Druck

An manchen Abenden schlüpft der Chemie-Manager in die Rolle des Öko-Kämpfers. Diesmal führt Manfred Schneider, Vorstandsvorsitzender von Bayer, das Stück im Kölner Schokoladenmuseum auf. Hinter ihm in der Dämmerung fließt der Rhein dahin, vor ihm spielt die Mariachi-Acapulco-Band mexikanische Melodien. Dann beginnt Schneider zu dozieren. „Die Chinesen können unsere Anforderungen an den Umweltschutz oft nicht nachvollziehen.“ So beginnt seine Erzählung von der in Peking zu leistenden Überzeugungsarbeit. Auch für die Gemeinschaftsunternehmen in Fernost sollen die firmeneigenen Umweltauflagen gelten. Schließlich sei Bayer ein weltweiter Konzern und stehe ständig unter Druck.
Die Ouvertüre hatte Schneider zwei Stunden zuvor gegeben. Vor rund 150 Journalisten aus 16 Ländern offenbarte er in Leverkusen auf dem Forum „Die Bayer-Ökoperspektive“ einen ganz besonderen Blickwinkel. Den Staat will er beim Umweltschutz mehr raushalten. Schon jetzt gebe es zu viele Gesetze und Auflagen; Bund und Länder sollten in Zukunft nur die Ziele nennen, Bayer erfülle sie dann schon. „Wir sind doch die Experten, wir können das besser“, sagt er und hebt die Leistungen des Unternehmens in der Vergangenheit hervor: weniger Abwasser, Energieverbrauch, Emissionen an Kohlen- und Schwefeldioxid und Abfall.

Reaktion auf Sandoz
Knapp drei Milliarden Mark steckten die Leverkusener seit 1987 in den Umweltschutz, für neue Klär- und Verbrennungsanlagen, Deponien, Abluftreinigungen oder verbesserte Produktionstechniken. Nicht ganz uneigennützig. Denn das Stück „Bayer und die Umwelt“ erlebt seine dritte Aufführung. Premiere war 1987, knapp ein Jahr nach der Sandoz-Katastrophe. Damals flossen nicht nur Tonnen Pflanzenschutz- und Insektenvertilgungsmittel in den Rhein, auch das Image der Chemie-Industrie versank im Fluss. Der frühere Konzernchef Hermann Strenger rief eine hauseigene Umweltkonferenz ins Leben und legte ein entsprechendes Investitionsprogramm auf.
Inzwischen wenden die Leverkusener jährlich knapp fünf Prozent des Konzernumsatzes (1994: 43,4 Milliarden Mark) für ihre Öko-Einrichtungen auf – Tendenz fallend. Der Chemiekonzern will künftig weniger die Produktionsreste aufbereiten, sondern verstärkt die Anlagen verändern, damit generell weniger Abgase und Abwässer anfallen. Integrierter Umweltschutz nennt sich das, wie der erstmals vorgelegte konzernweite Umweltbericht zeigt. Statt den Klärschlamm auf die Deponie zu schicken, wird er etwa im Werk Uerdingen mit konventionellen Brennstoffen vermischt und in einem umgerüsteten Kraftwerk verfeuert, um Strom zu erzeugen. Allerdings wäre der Schlamm ohne Staatsvorlage wohl weiter auf der Deponie gelandet. „Ohne eine verschärfte TA Abfall hätten wir die Anlage kaum so schnell errichtet“, räumt Hermann Wunderlich, stellvertretender Vorstandschef, ein.
Philipp Mimkes hält daher von Selbstverpflichtungen der Industrie wenig: „Wenn Bayer reagiert, dann auf Druck.“ Mimkes ist der Schurke im Umweltschutzstück – das Schmuddelkind, dem die Leverkusener die Tür weisen. Der studierte Physiker sitzt in einem kleinen Büro in Düsseldorf inmitten überquellender Bücherregale als Geschäftsführer der Initiative „Coordination gegen Bayer-Gefahren e.V.“. Seit 16 Jahren ärgert die Gruppe mit weltweit rund 2500 Unterstützern den Koloss am Rhein, etwa als „kritische Aktionäre“ auf Hauptversammlungen. Nicht ohne Wirkung. Bayer hat sie wegen eines Flugblattes verklagt – und erst beim Bundesverfassungsgericht verloren.
Für seine Abneigung gegen Selbstverpflichtungen liefert Mimkes Beispiele, etwa beim Pflanzenschutz. Bayer habe einen Kodex der UN-Ernährungsorganisation FAO unterschrieben, wonach sich die Hersteller verpflichteten, stark giftige Pestizide nur unter strengen Auflagen in Dritte-Welt-Staaten zu exportieren. Beispielsweise sollen nur lizenzierte Firmen die Mittel versprühen. In Guatemala oder Honduras fand Mimkes aber kleine Geschäfte, die das hochgiftige Nemacur offen abfüllten: „Jeder Kleinbauer kann das Zeug auf die Felder schütten.“ Von Schutzausrüstung, wie Handschuhe oder Masken, keine Spur.
Das bestätigten auch Berichte des WDR-Magazins Monitor. Sie zeigten zudem, wie Flugzeuge Nemacur versprühten, während Bauern auf den Feldern arbeiteten. Bayer bestreitet die Vorwürfe. Jochen Wulff, Leiter der Pflanzenschutzsparte, verweist auf umfangreiche Schulungsprogramme für Farmer in Guatemala oder Thailand, versprüht werde das Mittel nur von Fachleuten.
Mimkes kritisiert auch mangelhafte Standards in den Auslandswerken. Die südafrikanische Bayer-Tochter Chrome Chemicals beispielsweise produzierte in den siebziger und achtziger Jahren verschiedene Chromprodukte, unter anderem Natriummonochromat. Die Schutzeinrichtungen, wie Entlüftungsanlagen oder Masken, seien laut Umweltinitiative unzureichend gewesen, so dass viele Arbeiter den Chromstaub eingeatmet hätten. Medizinische Untersuchungen offenbarten bei mindestens einem Viertel der ehemals 260 Beschäftigten Geschwüre oder Löcher in der Nasenscheidewand. Fünf Männer seien an Lungenkrebs verstorben. 1991 habe Bayer einige Betriebsteile von Chrome Chemicals geschlossen und 215 Beschäftigte entlassen. Diese erhielten geringe Entschädigungen von 100 bis 300 Rand (damals etwa 50 bis 150 Mark).
In Leverkusen sieht man nach Darstellung eines Firmensprechers dagegen keinen Zusammenhang. Die Arbeiter seien größtenteils vor 1974 erkrankt, als Bayer das Werk erst übernommen und anschließend die Sicherheitseinrichtungen stark verbessert habe. Danach seien keine auffälligen Erkrankungen mehr aufgetreten. Und für die Höhe der Entschädigungen seien nun mal die örtlichen Berufsgenossenschaften zuständig.

Warten auf den BGH
Damit geht der Konzern ohnehin sehr zurückhaltend um. Die Interessengemeinschaft der Holzschutzmittel-Geschädigten wartet bis heute auf Geld. Ihre Forderungen leitet sie daraus ab, dass Bayer bis 1987 zu 37 Prozent an dem Hersteller Desowag beteiligt war. Inzwischen wurden zwei Desowag-Geschäftsführer wegen fahrlässiger Freisetzung von Giften zu jeweils einem Jahr Haft auf Bewährung verknackt. Bayer-Vorstandsmitglied Dieter Becher will sich mit dem Gedanken an eine eventuelle Entschädigung erst nach der Revisionsverhandlung beim Bundesgerichtshof beschäftigen.
In der Praxis haben Umweltgruppen mit der von Konzernchef Schneider auf dem Ökoforum propagierten Gesprächsbereitschaft ohnehin ihre Probleme. Benedikt Härlin, Greenpeace-Spartenleiter für Chemie, hält die Leverkusener anders als Hoechst noch für „Industrievertreter alter Schule“. Als die Umweltschützer im vergangenen Jahr auf die Gefahren des Herbizids Diuron für das Grundwasser hinwiesen, hieß es sofort, Greenpeace gefährde Arbeitsplätze in Leverkusen, erinnert sich Härlin. „Hoechst geht dagegen mehr auf Kritik ein.“
Die eigene Sicht der Dinge wurde auch auf der Ökoperspektive deutlich. Gefragt, was er von der rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen erwarte, sagte Schneider: „Regierungen kommen und gehen, aber Bayer bleibt.“
Von Andreas Hoffmann